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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare
Autoren: Léo Malet
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Frau. Aber apropos...“
    „Ja?“
    „Sie kannten Ihren Mitarbeiter besser als ich. War er nicht ‘n bißchen bekloppt?“
    „Wie kommen Sie darauf?“
    „Vor kurzem hat er mich in der Redaktion besucht. Ich sollte ihm die möglichst vollständige Liste aller Schriftsteller besorgen, die sich für den Marquis de Sade interessiert haben. Dazu das Verzeichnis sämtlicher Werke dieses Freigeistes und noch einiges andere, so was wie ‘ne Biographie. Ich wußte nicht, was Sade alles so geschrieben hat... Sehen Sie mich nicht so an, Burma. Damit steh ich nicht alleine da. Die Kultur...“
    „Ja, ja, schon gut! Erzählen Sie mir ein andres Mal was über Kultur. Haben sie ihm das Gewünschte besorgt?“
    „Ja. Als ich ihn im Scherz fragte, was er mit dem Zeug denn wolle, sagte er, er brauche das für Nachforschungen in der Bibliothek. Da mußte ich noch mehr lachen...“
    „Kann ich mir vorstellen. Und dann?“
    „Ich hab mich bei unserem Literaturkritiker erkundigt. Er sagte mir, daß mein Freund — er betonte ganz besonders ,Ihr Freund“, dachte sich wohl, daß ich selbst das Zeug haben wollte — na ja, daß Colomer also de Sades Bücher in der Bibliothek nicht finden würde. Dort gebe es das Teufelszeug nicht. Er solle lieber drei oder vier Bücher lesen, die er, der Kritiker, mir nannte. Seitdem halten mich unsere Tippsen für einen komischen Heiligen. Der Kritiker hatte nämlich nichts Eiligeres zu tun, als...“
    „Ersparen Sie mir Einzelheiten über Ihren versauten Ruf“, unterbrach ich meinen Freund. „Der war noch nie besser. Schlimmer konnte er dadurch auch nicht werden. Erinnern Sie sich an die Titel der Bücher?“
    „Was, Nestor, Sie auch?“
    „Erinnern Sie sich an die Titel der Bücher?“ wiederholte ich.
    „Nein. Ich...“
    „Hören Sie, Marc. Irgendwann springt für Sie ein Bombenartikel dabei raus. Aber vorher müssen Sie mir helfen. Und die Namen der Autoren sowie die Titel der Bücher könnten nützlich sein. Also...“
    „Mein Ruf ist sowieso schon ruiniert“, sagte Marc Covet und verzog das Gesicht, so als war ihm das gar nicht recht. „Soll ich wieder zu meinem Kritiker marschieren?“
    „Ja. Wir sehen uns heute abend...“
    „Wie Sie wünschen... wenn Sie mir nur die Exklusivrechte an der Lösung des Falles versprechen... Und Sie sind wirklich sicher, daß die Gefangenschaft Ihr Gehirn nicht durcheinandergebracht hat?“ fügte er lachend hinzu.
    „Vollkommen sicher! Obwohl einige Leute anderer Ansicht sind.“
    Ich klatschte in die Hände, um den Kellner zu rufen.
    „Das gleiche nochmal“, bestellte ich.
    Als die zweite Runde vor uns stand, sah ich Marc Covet tief in die Augen.
    „Erinnern Sie sich an Hélène Chatelain?“ fragte ich ihn.
    „Ihre Schreibmaschinen-Sekretärin-Mitarbeiter-Agentin?“
    „Ja. Was ist aus ihr geworden?“
    „Nachdem Sie zur Armee gegangen waren, hab ich ihr eine Stellung bei Lectout besorgt, der Konkurrenz von Argus. Ich dachte, das wüßten Sie?“
    „Wußte ich auch. Und danach?“
    „Sie ist immer noch da. Der Exodus hat sie bis nach Marseille geschwemmt, aber jetzt ist sie wieder in Paris.“
    „Hier in Lyon haben Sie Hélène nie getroffen?“
    „Nein. Warum?“
    „Nur so. Und jetzt gehen wir zu Ihnen. Wir haben so ungefähr dieselbe Größe. Ich würde mir gerne einen Anzug von Ihnen ausleihen. Hab die Schnauze voll von diesem Khakibraun.“
    Ich zahlte, und wir gingen hinaus. Es war kalt, der Nebel war wieder dichter geworden. Wir beeilten uns. Plötzlich blieb ich vor einem Schreibwarengeschäft stehen und betrachtete einen Drehständer mit Ansichtskarten. Covet wurde ungeduldig. Trotz seiner Proteste ging ich in den Laden, um kurz darauf mit einem wunderschönen Foto von Michèle Hogan wieder rauszukommen.
    „Ein schönes Kind, was?“ rief ich und schnitt mit der kleinen Schere, die ich immer bei mir trage, den unteren Teil der Karte ab, auf dem der Name der Schauspielerin stand. „Was ist in diesem Chaos aus ihr geworden?“
    „Hollywood“, brummte Covet. „Interessieren Sie sich für sie? Ist wohl Ihre Geliebte, hm?“
    „Nein. Nur meine Tochter.“
    Im Zimmer des Journalisten herrschte eine gut durchorganisierte Unordnung, wenn man das so sagen kann. Marc tauchte unter und reichte mir einen karierten Anzug, der mir zwar gefiel, den ich aber nicht anzog. Meine Wahl fiel schließlich auf einen grauen, sehr unauffälligen Anzug. Er verlieh mir das Aussehen eines pünktlichen Büroangestellten.
    „Geben Sie mir noch
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