Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1154 - Dämonen-Trauer

1154 - Dämonen-Trauer

Titel: 1154 - Dämonen-Trauer
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
Ich trat sicherheitshalber einen Schritt zurück, um nicht zu nahe an dieser fremden Gestalt zu sein.
    Sie war schon so etwas wie ein Wunder. Ihre Haltung hatte sich nicht verändert. Sie hielt den Kopf gesenkt, aber es flossen keine Tränen mehr aus ihren Augen.
    Was hatte Raniel noch gesagt? Denk daran, wer du bist. Es schien wichtig zu sein.
    Ich wusste, wer ich war. John Sinclair. Geisterjäger. Aber ich war noch mehr. Ich war der Sohn des Lichts. Ich hatte als Erbe ein wunderbares Kreuz übernommen, das der Prophet Hesekiel in babylonischer Gefangenschaft geschmiedet hatte. Er war ein Seher gewesen und hatte dieses Kreuz mit Zeichen und Insignien versehen, deren Kraft noch bis in die heutige Zeit Gültigkeit hatte. Das war mir mehr als einmal klargemacht worden. Wie oft hatte das Kreuz es auch geschafft, mein Leben zu retten.
    Hatte er mich darauf durch seine rätselhafte Bemerkung hinweisen wollen?
    Das konnte alles sein, musste aber nicht. Ich trug noch die andere Waffe bei mir, die mit geweihten Silberkugeln geladene Beretta. Ich sah jedoch keinen Grund, sie zu ziehen und der traurigen Gestalt eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Ich wollte auf eine andere Art und Weise Kontakt aufnehmen.
    Bevor ich mich ihr wieder zudrehte, schaute ich mich noch einmal so gut wie möglich auf der kleinen Insel um. Von Raniel sah ich nichts mehr. Nicht einmal Fußspuren dort, wo er gestanden hatte.
    Aber er war noch da. Er würde mich beobachten, denn er war ein seltsames Geschöpf. Er war kein Mensch, und er war kein Engel. Er war eigentlich beides. Halb Engel und halb Mensch. Er hatte von beiden Seiten etwas und war in der Lage, dies auch auszuspielen. Zudem war er jemand, der Ungerechtigkeit hasste. Ebenso wie ich. Nur ging er den anderen und auch direkten Weg. Während ich auf die Gesetze Rücksicht nahm, dachte Raniel nicht daran. Er tat einfach das, was für ihn wichtig war, und schob alle Hindernisse aus dem Weg. Nicht immer nahm er dabei Rücksicht auf Menschenleben, aber er hatte dadurch schon andere gerettet.
    Ich wandte mich wieder um.. Noch immer mit Raniels Auftauchen beschäftigt. Er hatte mir auch beim zweiten Mal nicht viel gesagt und mir nur einen undeutlichen Hinweis gegeben. Was dahintersteckte, musste ich selbst herausfinden.
    War die Person gefährlich?
    Auf mich machte sie nicht den Eindruck. Sie wirkte aber deprimiert, wie sie - eingehüllt in die lange Kutte - vor mir kniete und keinen Ton mehr von sich gab.
    Ich wollte wissen, was mit ihr los war, und sprach sie mit leiser Stimme an. »Kannst du mich hören? Hörst du, wer mit dir spricht? Kannst du aufstehen?«
    Eine Antwort hatte ich eigentlich nicht erwartet. Um so überraschter war ich, als ich eine bekam.
    Zunächst durchlief die Gestalt ein Ruck. Dabei schüttelte sie den Kopf, aber die Kapuze rutschte nicht nach hinten.
    Dann stand sie auf.
    Sie verhielt sich dabei wie ein normaler Mensch, der zu lange auf dem Boden gekniet hatte. Der Körper schwang von einer Seite zur anderen, es gab nichts, an dem sich eine Hand hätte abstützen können, doch mit dem nötigen Schwung kam sie tatsächlich auf die Beine und blieb vor mir schwankend stehen.
    Wir schauten uns wieder an. Im Licht des Tages hätte ich sicherlich mehr Einzelheiten in ihrem Gesicht gesehen. So hatte ich schon meine Schwierigkeiten, etwas zu erkennen. Ich sah nur eine dunkle Fläche. Ja, sie war grau, irgendwie auch schwarz, und sie wirkte leicht verbrannt.
    Es gab keine Lippen. Ich sah eine gekrümmte Nase und natürlich die Augen, in denen sich so gut wie keine Pupillen abmalten, das Tränenwasser jedoch noch wie eine graue, leicht gläserne Flüssigkeit zu sehen war.
    Kein Weinen mehr. Kein Schluchzen. Die fremde Gestalt musste in ihrem eigenen Elend gefangen sein. Für mich existierte sie, aber sie lebte nicht.
    Vorhin, als sie vor mir gekniet hatte, hatte sie mir bittend die Hände entgegengestreckt. Ich wartete darauf, dass dies jetzt auch wieder geschah, doch sie tat es nicht. Sie schüttelte nur den Kopf, als wollte sie sich bei mir beklagen, weil ich mich ihr gegenüber schlimm verhalten hatte.
    Ich stellte eine recht kindliche Frage, die mir allerdings sehr wichtig war.
    »Wer bist du?«
    Das Gesicht hatte ich dabei nicht aus den Augen gelassen. Bei einem Menschen kann man oft eine Reaktion ablesen, darauf hoffte ich auch jetzt und wurde leider enttäuscht, denn die Gestalt gab mir mit keiner Geste zu verstehen, dass sie mich gehört, geschweige denn verstanden hatte.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher