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1140 - Der Eindringling

Titel: 1140 - Der Eindringling
Autoren: Unbekannt
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keine sechzig, und er wußte offenbar noch nicht, daß es von einem gewissen Alter an keinen Sinn mehr hatte, nach Tabellen zu leben.
    „Weißt du, Sid", hatte Hurt eines Tages zu ihm gesagt, „jeder Mensch und jedes Tier muß irgendwann sein eigenes Lebenselixier finden. Das, was ihn alle Beschwernisse vergessen läßt. Mein Lebenselixier besteht aus den Morgenwanderungen am Strand, mathematischen Spielereien, meiner Meerschaumpfeife und meinem Rum - und Sims Lebenselixier besteht eben aus Eiern mit Speck. Ich bin einhundertsechsundsiebzig Jahre alt. Sim ist erst knappe zwanzig. Aber er ist biologisch gesehen älter als ich. Er hat ein Recht darauf, sein Lebenselixier zu verlangen."
    „Aber diese Lebensweise ist unnatürlich für einen Hund!" hatte Sid aufgeregt gekontert.
    „Speck enthält zuviel Salz ..."
    „Ich weiß", hatte Hurt abgewinkt. „Für einen jungen Hund wäre das sicher nicht gut. Aber sieh dir Sim doch mal an - er ist für sein Alter tadellos in Ordnung. Gut, er hat manchmal Mühe, auf die Beine zu kommen, er kann nicht mehr wie ein Welpe durch die Gegend tollen, und was seine Augen angeht - wenigstens in diesem Punkt bin ich ihm noch überlegen. Aber er ist ein guter Hund und ein guter Kamerad. Er hat nach deinen eigenen Aussagen noch drei bis vier Jahre vor sich, und das ist viel für ihn, viel mehr als für einen von uns."
    „Dann tu mir wenigstens den Gefallen und mische Eier und Speck mit normalem Hundefutter!"
    Hurt wußte nicht - und wollte auch nicht darüber nachdenken -, warum er ausgerechnet an diesem Morgen Sids Ratschlag befolgte. Sim sah ihn vorwurfsvoll an, aber Hurt blieb fest und stellte ihm das Gemisch vor die Nase. Sim schnüffelte geräuschvoll.
    „Tu nicht so, als ob du den Unterschied riechen könntest!" sagte Hurt mit liebevollem Spott. „Komm schon - der Onkel Doktor hat es so gewollt. Beschwere dich bei Sid, wenn du willst!"
    Sim schien einzusehen, daß derartige Beschwerden auf taube Ohren stoßen mußten, und fraß sein Frühstück gehorsam auf. Dann trottete er in eine Ecke der Wohnküche, zerrte Hurts Sammeltasche aus einer Kiste und kehrte damit zu seinem Herrchen zurück.
    „Braver Hund!" lobte Hurt, kraulte Sims Kopf und war sich dabei der begehrlichen Blicke bewußt, die das Tier( auf seinen Teller richtete. „Laß mich aber wenigstens zu Ende essen!"
    Sim starrte ihn unverwandt an, und schließlich kapitulierte er.
    „Undankbare Bestie!" murmelte er, während er Sim den Teller hinhielt. Der Hund verschlang den Rest des Frühstücks auf einen Bissen und leckte genußvoll den Teller ab.
    „Das reicht", sagte Hurt schließlich. „Komm, alter Junge. Es wird Zeit für uns."
    Er nahm die Sammeltasche und trat abermals in den strahlend schönen Morgen hinaus.
    Die Sonne war ein kleines Stück höher gestiegen, und noch mehr Blüten hatten sich geöffnet. In der nördlichen Hemisphäre war der November ein trüber Monat, aber hier, auf der anderen Seite der Erdkugel, begann jetzt die schönste Zeit des Jahres.
    Hurt und Sim traten durch die Gartenpforte und wandten sich nach rechts, der Kuppe des Hügels zu. Die Straße endete beim Haus der Gassners und wurde zu einem schmalen Pfad, der durch den Eukalyptushain in eine schmale Steppenzone führte.
    Später im Jahr gab es hier fast nur noch trockene, zähe Gräser, aber jetzt wanderten der alte Mann und sein Hund über einen duftenden Blütenteppich. Dann wurden die Pflanzen immer kleiner und gedrungener, und schließlich überquerten sie den Gipfel und sahen das Meer vor sich.
    Als Sim noch sehr jung gewesen war, hatte ihn von diesem Augenblick an nichts mehr zurückhalten können, und Hurt war oft genug dazu gezwungen gewesen, seinem vierbeinigen Freund hinterdrein zu rennen. Später hatte Sim sich darauf verlegt, minutenlang stillzustehen und zu wittern. Inzwischen brauchte keiner mehr auf den anderen zu warten. Geruhsam trotteten sie den schmalen Pfad hinab und erreichten endlich den Strand.
    Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Dafür gab es Unmengen von Vögeln. Sie kreisten am Himmel, stocherten im Sand nach Nahrung und brüteten zwischen den niedrigen Dünen. Sie blieben hier selbst während der Touristensaison fast ungestört, denn das gehörte zum Image von Melville. Diese Ecke Südostaustraliens zählte nicht zu den klassischen Revieren für gut betuchte Touristen. Die zogen den tropischen Norden oder das Große Barriereriff vor oder besuchten die großen Städte oder die imposanten
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