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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen
Autoren: Elizabeth George
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sollen. Ich tat es nicht, weil Sie mich mit diesem Quatsch, dieser Bemerkung: »Ich trage Schwarz, weil mein Mann vor kurzem gestorben ist«, sehr geschickt manipulierten und zu bleiben bewogen. Sie legten es darauf an, mein Mitgefühl zu wecken, nicht wahr? Stellen Sie eine Verbindung zu dem Patienten her, hat man Sie gelehrt. Gewinnen Sie sein Vertrauen, damit er beeinflussbar ist.
    Wo ist Dr. Rose?, frage ich beim Eintritt in das Sprechzimmer.
    Sie sagen: Ich bin Dr. Rose. Dr. Alison Rose. Vielleicht haben Sie meinen Vater erwartet? Er hat vor acht Monaten einen Schlaganfall erlitten und befindet sich jetzt in der Rekonvaleszenz, aber es wird noch eine Weile dauern, bevor er wieder hergestellt ist, darum kann er im Moment keine Patienten sehen. Ich habe seine Praxis übernommen.
    Und Sie plaudern munter drauflos: Wie es zu Ihrer Rückkehr nach London kam; wie sehr Sie Boston vermissen; dass es dennoch so das Beste sei, weil die Erinnerungen dort zu schmerzlich gewesen seien. Die Erinnerungen an ihn, Ihren Ehemann. Sie gehen sogar so weit, seinen Namen zu nennen: Tim Freeman. Und seine Krankheit: Darmkrebs. Und Sie sagen mir, welches Alter er hatte, als er starb: siebenunddreißig Jahre. Sie berichten, dass Sie den Gedanken an Kinder zunächst auf Eis gelegt hatten, weil Sie bei Ihrer Heirat noch studierten, und dass später, als es Zeit wurde, an Nachwuchs zu denken, für ein Kind kein Platz mehr war, da Sie beide, er und Sie, um sein Leben kämpften.
    Sie taten mir Leid, Dr. Rose, und darum blieb ich. Das Resultat ist, dass ich jetzt hier an meinem Fenster mit Blick auf den Chalcot Square sitze und schreibe. Ich schreibe, wie Sie mir geraten haben, mit Kugelschreiber, damit ich nicht radieren kann. Ich schreibe in ein Ringbuch, damit ich jederzeit Ergänzungen einschieben kann, sollte mir wunderbarerweise irgendwann später etwas Entscheidendes einfallen. Nur das, was ich tun sollte, was die ganze Welt von mir erwartet, das tue ich nicht: nämlich Seite an Seite mit Raphael Robson dieses infernalische, allgegenwärtige Nichts zwischen den Tönen aufheben.
    Raphael Robson?, höre ich Sie fragen. Erzählen Sie mir von Raphael Robson.
    Ich habe heute Morgen meinen Kaffee mit Milch getrunken, und dafür bezahle ich jetzt, Dr. Rose. Mein Magen brennt wie Feuer, und die Flammen kriechen in meine Eingeweide. Eigentlich steigt Feuer ja auf, aber nicht das Feuer in meinem Inneren. Da geschieht genau das Gegenteil, und die Schmerzen sind immer die gleichen. Gemeine Blähungen, teilt mir mein Arzt in einem Ton mit, als gäbe er mir den medizinischen Segen. Dieser Scharlatan! Ein viertklassiger Kurpfuscher ist er. In meinen Eingeweiden wuchert etwas Böses, das mich von innen auffrisst, und er spricht von Winden.
    Erzählen Sie mir etwas von Raphael Robson, wiederholen Sie.
    Warum?, frage ich. Warum soll ich von Raphael erzählen?
    Weil er ein Anfang ist. Ihr Unterbewusstsein liefert Ihnen einen Anfang, Gideon. So läuft dieser Prozess.
    Aber Raphael ist nicht der Anfang, widerspreche ich. Der Anfang liegt fünfundzwanzig Jahre zurück in einem Peabody-Haus, einem Seniorenstift, am Kensington Square.

17. August
    Dort lebte ich damals. Nicht in einem der Peabody-Häuser, sondern im Haus meiner Großeltern auf der Südseite des Platzes. Die Peabody-Häuser sind schon lange verschwunden. Bei meinem letzten Besuch in der Gegend fand ich an ihrer Stelle zwei Restaurants und eine Boutique. Aber ich erinnere mich gut an diese Häuser, und ich erinnere mich auch, wie geschickt mein Vater sie einflocht, als er die Gideon-Legende spann.
    So ist mein Vater, immer bereit, alles, was auf dem Weg liegt, zu nutzen, wenn er sich einen Vorteil davon verspricht. Er war damals ein rastloser Mensch voller Ideen. Heute ist mir klar, dass die meisten seiner Ideen Versuche waren, die Befürchtungen meines Großvaters in Bezug auf seine Person zu beschwichtigen. Denn in den Augen meines Großvaters war das Scheitern meines Vaters beim Militär ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er auch auf allen anderen Gebieten scheitern würde. Und ich denke, mein Vater wusste das, denn mein Großvater hielt mit seinen Ansichten nie hinter dem Berg.
    Mein Großvater war seit dem Krieg nicht mehr gesund. Ich nehme an, das war der Grund, weshalb wir bei ihm und Großmutter lebten. Er war zwei Jahre lang in Burma in japanischer Gefangenschaft gewesen und hatte sich davon nie ganz erholt. Ich glaube, die Gefangenschaft hat bei ihm etwas hervorgerufen, was sonst
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