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106 - Schatten des Krieges

106 - Schatten des Krieges

Titel: 106 - Schatten des Krieges
Autoren: Claudia Kern
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lange sein klarer Moment anhalten würde.
    Möglicherweise schwand er schneller, als eine fahrende Maschine zum Halten kam.
    »Hast du alte Kameraden getroffen?«, fragte er, um das Schweigen zwischen ihnen zu brechen.
    Honeybutt schien es für einen Vorwurf zu halten. Statt zu antworten, betätigte sie den Kickstarter. Schon nach dem zweiten Tritt machte das Röhren des ungedämpften Motors jede Unterhaltung unmöglich. Der ohrenbetäubende Lärm verscheuchte auch die umstehenden Barbaren, die ihnen den Weg versperrten. Erschrocken wichen die Menschen zur Seite und schufen so eine Gasse, die das motorisierte Gespann Richtung Westen entließ.
    Endlich war es so weit. Sie brachen auf nach Amarillo.
    ***
    Juanita hatte den Präsidenten noch nie so oft gesehen wie in den letzten Wochen. Er gab Interviews, nahm an Diskussionsrunden teil, ließ sich vom Volk zu seiner Politik befragen und hielt fast jeden Tag eine Rede.
    Trotzdem saß Juanita an diesem Abend wie gebannt vor dem Monitor und hörte ihm zu. Mit seiner tiefen, sonoren Stimme erzählte er von den Fehlern der Vergangenheit und den drastischen Veränderungen, die er plante, um die Zukunft neu zu gestalten. Er sprach von barbarischen Hilfstruppen der WCA auf anderen Kontinenten und selbst gewählter, falscher Isolation. Und dann versprach er ein Ende des Bunkerlebens und einen Neuanfang mit den Menschen dieser Zeit.
    Es waren große Worte, aber auf Juanita wirkten sie nicht gelogen, auch wenn sie viele Dinge, die er ansprach, nur aus Gerüchten kannte. Als einfacher Corporal in einer technischen Versorgungseinheit wusste sie kaum etwas von den Entscheidungen, die auf oberster Ebene getroffen wurden. Man sagte ihr, dass sie ständig auf Angriffe von außen gefasst sein müsse, aber über die Angreifer verriet man ihr nichts.
    Natürlich wurde geredet. Es gab Gerüchte über Androiden, über Außerirdische, über Menschen, die durch die Zeit reisten, über andere Bunkermenschen in Europa. Und über die zweite verschollene Kraterexpedition gab es sogar ein Forum im bunkereigenen Intranet, wo die wildesten Theorien diskutiert wurden.
    Genaues wusste jedoch niemand außer den höchsten Offizieren und den Agenten der WCA. Bei den einfachen Soldaten waren die Geheimdienstler verhasst. Ihre Arroganz und Brutalität waren berüchtigt.
    Aber nur sie wissen, was in diesem Staat wirklich geschieht , dachte Juanita und griff nach der Schüssel Mikrowellen-Popcorn. Sie fragte sich, ob die WCA von Hymes' Rede gewusst hatte. Die meisten Kritikpunkte gingen eindeutig an die Adresse des Geheimdienstes.
    Auf dem Monitor verabschiedete sich der Präsident und wurde von zwei Journalisten ersetzt, die aufgeregt miteinander zu diskutieren begannen. Der eine nannte die Rede
    »bahnbrechend«, der andere »katastrophal«.
    Sie stellte die Schüssel zur Seite, als die Eingangstür des Quartiers geöffnet wurde. Ramon schloss seine Tür nur selten ab. Er wusste, dass seine Schwester sich lieber bei ihm aufhielt als in ihrem eigenen, wesentlich kleineren und unkomfortableren Quartier.
    »Hast du die Rede gehört?«, fragte sie und drehte den Kopf.
    »Hymes hat… wie siehst du denn aus?!«
    Ramon strich sich mit der Hand über den kahlen Kopf und seufzte. »Frag nicht… Crow hatte einen schlechten Morgen.«
    Sie setzte zu einer Entgegnung an, aber er winkte nur ab.
    »Glaub mir, dass jeder im Bunker sich schon dazu geäußert hat. Ich weiß, dass ich mich von Crow nicht demütigen lassen sollte und dass er keine Befehlsgewalt über meine Haare hat.«
    Das vielleicht , dachte Juanita. Aber weißt du auch, dass dein Kopf wie eine Bowlingkugel aussieht?
    »Ach ja«, sagte Ramon und ließ sich neben ihr auf die Couch fallen. »Und ich weiß, dass mein Kopf wie eine Bowlingkugel aussieht. Crow hat mich als Erster darauf hingewiesen.« Er schob sich eine Handvoll Popcorn in den Mund. »Crow hat übrigens alle Termine für heute abgesagt und mir frei gegeben. Ich glaube, Hymes' Rede ist ein ziemlicher Hammer für ihn.«
    »War das nicht mit ihm abgesprochen?«, fragte Juanita.
    »Keine Ahnung, wahrscheinlich nicht.« Er zögerte. »Und darüber darf ich ohnehin nicht mit dir reden.«
    Das stimmte natürlich. Seit seiner Versetzung war Ramon Geheimnisträger, auch wenn er das noch nicht so ganz zu verstehen schien.
    »Ich habe übrigens McGovern getroffen«, wechselte Juanita das Thema. »Es ist doch bestimmt kein Zufall, dass er genau an dem Tag auftaucht, an dem Hymes seine Rede hält.«
    Ramon
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