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106 - Schatten des Krieges

106 - Schatten des Krieges

Titel: 106 - Schatten des Krieges
Autoren: Claudia Kern
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brannte eine Leselampe. Es roch nach Leder, alten Büchern und Zigarren.
    Hymes legte das Buch zur Seite. »Ich hatte mich gefragt, wann du kommen würdest.« Seine Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton.
    Crow schloss die Tür hinter sich. »Hätte ich früher kommen sollen?«
    »Nein. Es ist schon in Ordnung so.« Er tippte mit dem Finger auf den Buchrücken. »Rudyard Kipling ist ein Autor, der dir gefallen würde.«
    »Vielleicht werde ich ihn mal lesen.«
    »Vielleicht.«
    Sie schwiegen sich an. Crows Mund war trocken, aber er fragte nicht nach Wasser. Hymes sog an seiner Zigarre. Der Rauch stieg auf und wurde von der Klimaanlage eingesogen.
    »Ich gehe davon aus, dass Gerner mit dir gesprochen hat«, sagte er.
    »Das stimmt.« Crow lehnte sich gegen den Schreibtisch.
    »Du kannst dir denken, was er mir angeboten hat.«
    »Die Präsidentschaft natürlich. Du sollst bei Neuwahlen gegen mich antreten, aber das wirst du nicht tun.«
    »Bist du sicher?« Manchmal war es beängstigend, wie gut er und Hymes sich kannten.
    »Ja. Du weißt genau, dass ich die Situation mit nur einem Interview wieder umdrehen kann. Zehn Minuten mit Danny Kincaid, mehr brauche ich nicht, um dich zu besiegen.«
    Crow steckte die Hand in die Tasche seiner Uniform. Er lächelte, fror seine Mimik jedoch sofort wieder ein, als er erkannte, wie unpassend sie war. »Du bist der beste Politiker, den ich je gesehen habe, Victor«, sagte er. »Ich hätte keine Chance gegen dich.«
    Hymes blies vorsichtig gegen die Zigarrenglut. Asche fiel wie Schneeflocken auf den Teppich. »Und du bist ein großartiger Soldat, aber kein Politiker. Du kannst nicht regieren, nur kommandieren.« Er machte eine Pause. »Deshalb musst du mich töten, richtig?«
    Crows Finger griffen nach dem kühlen Griff der Pistole und zogen sie aus der Uniformtasche.
    »Ich habe sie aus Gerners Quartier«, sagte er. »Jeder weiß, dass er antike Waffen sammelt. Nach der Tat wird er die Waffe natürlich verstecken, es aber nicht übers Herz bringen, sie zu vernichten. Sie wird ihn überführen, ihn und seine Verschwörung.«
    »Eine Verschwörung, die dazu führt, dass du und deine loyale 101. das von Fremdspionen und Verrätern durchsetzte Parlament auflöst und das Kriegsrecht ausruft. Als Oberkommandierender der Streitkräfte übernimmst du selbstverständlich die Herrschaft über diesen Bunker und seine Bewohner.«
    »Mehr Soldaten, höhere Produktion, vielleicht der Einsatz von Barbarensklaven«, fuhr Crow den Gedankengang fort.
    »Zuerst muss jedoch Takeo vernichtet werden. Mit seinen Cyborgs können wir endlich das ganze Land beherrschen, und wer weiß was eines Tages noch.«
    »Du wirst diesen Staat in den Untergang führen.«
    »Ich werde ihn zum Sieg führen.« Es war ein Streitgespräch, wie Crow es schon oft mit Hymes geführt hatte, und für einen Moment vergaß er, weshalb er in dieses Quartier gekommen war. Doch dann legte Hymes die Zigarre beiseite.
    »Wird es wehtun?«, fragte er. Seine Augen waren auf die Mündung gerichtet, in seiner Stimme lag ein Zittern, das man nur hörte, wenn man ihn kannte.
    »Ja, aber es wird schnell vorbei sein.« Crow griff nach einem Kissen und presste es vor den Lauf. Er sah Hymes in die Augen, als er abdrückte, sah den Schock in seinem Gesicht, den Schmerz und den Tod.
    Minutenlang stand er reglos da, bis das keuchende Atmen stoppte und Hymes' Körper erschlaffte. Dann steckte er die Waffe in seine Tasche und setzte sich auf den Schreibtisch.
    »Es tut mir Leid«, sagte er leise. Sein Blick verschwamm.
    Er wischte sich mit der Hand über die Augen und spürte Feuchtigkeit. »Ich habe das nie gewollt.«
    Nach einer Weile erhob sich Crow und ging auf die Tür des Quartiers zu, das er als General betreten hatte und als Diktator verlassen würde. Die Verantwortung lag auf ihm wie ein Gewicht.
    Für mein Land werde ich es tun , dachte er. Nur für mein Land.
    ENDE
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