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106 - Schatten des Krieges

106 - Schatten des Krieges

Titel: 106 - Schatten des Krieges
Autoren: Claudia Kern
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Garcias Augen aufblitzen. Es schien für ihn nichts Schlimmeres zu geben, als seine eigene Meinung zu vertreten, wenn er nicht wusste, was sein Vorgesetzter hören wollte.
    »Nun, Sir«, begann er, »es war eine Rede, die viele Bewohner motivieren wird. Der Präsident klang sehr positiv, und das hören die Leute gerne.«
    Garcia sah immer wieder zu Crow, versuchte sich zu vergewissern, dass er auf dem richtigen Weg war. Er hatte ein rundes, weich wirkendes Gesicht, kurze schwarze Haare und einen Bauchansatz, über den sich die Uniform spannte.
    »Ich glaube, Sir«, fuhr er fort, »dass der Präsident die Rede gehalten hat, weil sie den Leuten gefallen sollte.«
    »Natürlich sollte sie den Leuten gefallen, Sie Idiot. Es war eine Wahlrede!« Crow warf Garcia das Handtuch entgegen und zog ein frisch gebügeltes, weißes T-Shirt über. »Was Sie sich aber fragen sollten, was dieser ganze verdammte Bunker sich fragen sollte, ist, weshalb unser Präsident vier Reden in einer Woche hält, obwohl er noch nicht einmal einen verdammten Gegenkandidaten hat. Wen versucht er zu besiegen?«
    Crow setzte sich an den gedeckten Frühstückstisch. Auf sein Fingerschnippen hin füllte Garcia Kaffee in eine Tasse und entfernte den Deckel von einem Teller Rührei mit Speck. Dann trat er einen Schritt zurück und nahm Haltung an.
    »Wissen Sie, wovor der Präsident sich fürchtet?« Crow redete weiter, ohne auf eine Antwort zu warten. Früher hatte er mit seiner Frau beim Frühstück über solche Fragen diskutiert, und nach ihrem Tod mit seiner Tochter. Doch seit Lynne am Kratersee verschwunden war, gab es niemanden mehr, der es wagte, mit ihm zu diskutieren. Manchmal vermisste er Lynne so sehr, dass er glaubte, es würde ihn zerreißen.
    »Vor sich selbst, davor hat er Angst. Präsident Hymes glaubt, dass es niemanden interessiert, wer sie regiert und dass es nur deshalb keinen Gegenkandidaten gibt. Er befürchtet, dass er die Leute langweilt, deshalb kämpft er diesen Wahlkampf gegen sich selbst, anstatt sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren, wie das verdammte militärische Budget für die nächsten zwölf Monate. Ich brauche mehr Geld und mehr Soldaten, aber darüber will er erst reden, wenn er die Wahl gewonnen hat. Wie, zum Teufel, sollte er sie denn verlieren, können Sie mir das erklären, Lieutenant?«
    »Ich weiß es nicht, Sir«, antwortete Garcia.
    »Was niemanden und mich am allerwenigsten überrascht. Gibt es überhaupt etwas, das Sie wissen? Wissen Sie zum Beispiel, dass all meine Adjutanten in den letzten vier Jahren auf zumeist gewalttätige Weise ums Leben gekommen sind und dass Ihr Vorgesetzter Sie für diese Aufgabe wohl nur ausgewählt hat, weil er glaubt, Sie so möglichst schnell loswerden zu können?«
    »Nein, Sir, das wusste ich nicht.« Kleine Schweißperlen hatten sich auf Garcias Stirn gebildet.
    Er wagte es nicht, Crow anzusehen, konzentrierte sich stattdessen auf einen neutralen Punkt an der Wand. Seine Unterwürfigkeit war wie eine Provokation.
    »Dann wissen Sie es jetzt! Sie sind nur der Letzte in einer langen Reihe von Adjutanten. Webber, Harris, Ncombe… merken Sie sich diese Namen und beten Sie, dass ihr Geist Sie führen wird, damit Sie endlich kapieren, dass ich meinen Speck kross, das Rührei weich und den Kaffee schwarz will und dass ich es, verdammt noch mal, hasse, wenn man mich beim Schach gewinnen lässt!«
    »Ja, Sir.« Ein Schweißtropfen lief über Garcias Schläfe und die Wange. Es sah aus, als würde er weinen. »Tut mir Leid, Sir.«
    »Es soll Ihnen -«
    Das Klingeln des Diensttelefons unterbrach ihn. Crow nickte seinem Adjutanten kurz zu und trank einen Schluck Kaffee. Er war lauwarm und viel zu dünn.
    »General Crows Quartier«, hörte er Garcia in den Hörer sagen. Die metallisch verzerrte Stimme am anderen Ende der Leitung war zu leise, um sie zu verstehen. »Danke, Corporal, ich sage es ihm.« Garcia legte auf. »Das war eine Meldung vom Wachpersonal, Sir. Einer der Spähtrupps ist zurückgekehrt.«
    Crow runzelte die Stirn. Es waren einige Einheiten in verschiedenen Landesteilen unterwegs. »Hat er gesagt, welcher Trupp?«
    »Ja, Sir, der von Sergeant Major McGovern. Er erwartet Sie im Roosevelt-Raum.«
    ***
    Ramon Jesus Garcia hasste die Armee. Er hasste die engen Uniformen, die schweren Stiefel und den rauen Umgangston.
    Nur den General hasste er nicht - er wagte es nicht, ihn zu hassen.
    »Soll ich einen Rollstuhl für Sie anfordern, Garcia?« Crows halb gebrüllte
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