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106 - Schatten des Krieges

106 - Schatten des Krieges

Titel: 106 - Schatten des Krieges
Autoren: Claudia Kern
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Sekunden, bis dem Namen eine Erinnerung folgte. Natürlich, diese Frau war seine Freundin.
    Wie hatte er das bloß vergessen können?
    Aiko strich sich über die nasse Stirn, um den brennenden Schweiß von seinen Augen fernzuhalten. Dabei entdeckte er einige krakelige Druckbuchstaben auf der Innenfläche des rechten Handtellers. So zittrig, wie sie aussahen, musste er den Stift zum Schreiben zwischen die Zähne genommen haben.
    VERFOLGER, stand dort. Und: TREIBSTOFFDEPOT?
    Zwei selbst verfasste Hinweise, die ihn an etwas erinnern sollten.
    Stöhnend richtete er sich auf und folgte Honeybutts sorgenvollem Blick in die Ferne. Von einer Kuppe der Hügelkette, die sich am Rande der Prärie abzeichnete, stiegen schwarze Wolken auf. Der Rhythmus, in dem sie entstanden, folgte einem bestimmten, gleich bleibenden Schema, das unmöglich natürlichen Ursprungs sein konnte. Es handelte sich um Zeichen, geschaffen von Menschenhand. Das sagte ihm seine Erfahrung, die ihm weiterhin zur Verfügung stand. Was seit der Abfahrt aus Waashton geschehen war, lag dagegen hinter einem seidenen Schleier, der nur vage Empfindung von Flucht und Gefahrpreis gab.
    »Sie sind uns also weiter auf den Fersen?«, mutmaßte er, ohne den Feind zu kennen. Aus irgendeinem Grund musste er ja VERFOLGER in seine Hand geschrieben haben.
    »Natürlich«, antwortete Honeybutt leicht gereizt, als ob seine Feststellung überflüssig wäre. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, eine Erinnerung vorzutäuschen, die er nicht besaß.
    »Wissen wir, wer es ist?«, fragte er, um die Dinge gerade zu rücken.
    Seine Freundin suchte einen mitleidigen Ausdruck zu vermeiden, doch es misslang. Das war nicht schlimm. Im Gegenteil. Es milderte ein wenig die Härte in ihren Zügen.
    »Pales«, erklärte sie mit der Geduld einer Mutter, die ihrem Kind ein ums andere Mal die gleichen Fragen beantwortet.
    »Die Rauchzeichen begleiten uns, seit wir ihre Jagdgründe passieren.«
    Pales . Weiße, kriegerische Nomaden, naturverbunden und in Stämmen organisiert, ähnlich den nordamerikanischen Indianern des 19. Jahrhunderts. Aiko hatte schon mal mit ihnen zu tun gehabt, allerdings vor vielen Jahren, zu einer Zeit, als er noch seine biologischen Arme besessen hatte.
    »Mit dem Trike sind wir zu schnell für sie«, kombinierte er und fühlte eine unbändige Freude, dass er dazu in der Lage war. »Darum weisen sie umherstreifende Jagdgesellschaften auf uns hin. Sie sollen uns den Weg abschneiden.«
    Honeybutt nickte bestätigend. Mehr nicht. Wahrscheinlich hatte dieses Gesprach für sie schon ein Dutzend Mal stattgefunden.
    Aiko fühlte trotzdem sicheren Grund unter den Füßen.
    Nachdenklich rieb er über die Stoppeln des unrasiertes Kinn.
    »Wir müssen die Versorgung mit Treibstoff sichern«, mahnte er. »Die Geschwindigkeit ist unser einziger Trumpf.«
    Das Mitleid in Honeybutts Augen verwandelte sich zu einem Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit. Ehe er fragen konnte, wo das Problem lag, zupfte sie an seinem linken Ärmel, um seinen Blick auf einen Riss zu lenken, der auf Höhe des Bizeps auseinander klaffte. Lose Fäden ragten zu beiden Seiten aus dem Drillich hervor. Das unter der Jacke sichtbare Hautgewebe, das die Armprothese aus Plysterox überzog, wies eine gleich verlaufende Schorfwunde auf. Wie nach einem Schnitt mit dem Messer oder einer anderen Klinge.
    Aiko verstand zuerst nicht, was das bedeutete, bis er den Verband an Honeybutts Hüfte sah.
    »Wir haben bereits ein geheimes Depot angefahren«, erklärte sie. »Es liegt erst wenige Stunden zurück.«
    »Was ist geschehen?«
    »Wir wurden beim Aufladen der Kanister von Pales überrascht.« Ihr Gesicht verhärtete sich. Sie schien verärgert.
    Vielleicht über eine Nachlässigkeit, die ihnen fast das Leben gekostet hatte. »Wir konnten entkommen, aber einige der Pales haben überlebt und sind uns nun auf den Fersen. Um die mache ich mir Sorgen, nicht um die Rauchzeichen.«
    Sie deutete Richtung Osten, auf die breite, in das hohe Präriegras gepflügte Furche, die der Breite des motorisierten Gespanns entsprach. Es würde noch Tage dauern, bis die Halme wieder vollständig aufgerichtet waren. Bis dahin war es ein Kinderspiel, ihrer Spur zu folgen.
    Aiko nickte, zum Zeichen, dass er jetzt die Situation überschaute. Er verstand zwar noch nicht, woher Honeybutt die Lage eines geheimen Benzindepots kannte, wollte aber nicht danach fragen. Vermutlich hatte sie es ihm schon zwei Dutzend mal erklärt. Sie musste schon für
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