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1015 - Henkeraugen

1015 - Henkeraugen

Titel: 1015 - Henkeraugen
Autoren: Jason Dark
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»Wirklich warten?« fragte er leise. »Wollen Sie das? Wollen Sie auf ihn warten?«
    »Warum nicht?«
    »Und wenn Sie ihn sehen?«
    Jane ahnte, daß der Junge auf etwas Bestimmtes hinauswollte, aber sie stellte keine entsprechende Frage und gab auch auf die letzte keine Antwort. Statt dessen blickte sie sich noch einmal im Zimmer um und wollte dann auf die Tür zugehen, aber der leise Ruf des Jungen stoppte sie. »Halt!«
    Jane drehte den Kopf. »Warum?«
    »Gehen Sie noch nicht weiter!«
    »Aber…«
    Der Junge hob seinen rechten Arm, und Jane Collins vergaß, was sie hatte sagen wollen. Sie blickte dorthin, wo die ausgestreckte Hand des Jungen hinwies. Das war die offenstehende Tür. Die allerdings meinte er nicht. Er wies vielmehr tiefer in den Gang hinein, in dessen Düsternis sich eine Gestalt zeigte.
    »Dort ist er!«
    Jane hatte sich so etwas ähnliches schon gedacht. Trotzdem war sie geschockt, und sie ging noch zwei Schritte vor, bis auch sie sah, was der Junge gemeint hatte.
    Ziemlich weit im Gang versteckt und nahe der Treppe stand die Gestalt des Henkers. Der Lichtschein reichte aus, um sie aus der Dunkelheit zu holen, denn er selbst war ebenfalls ziemlich düster.
    Zudem bewegte er sich nicht. Es war für Jane Collins auch nicht festzustellen, ob sie es mit einer normalen Gestalt zu tun hatte oder mit einer feinstofflichen. Aber er war da, und er war bewaffnet.
    Die Detektivin bewegte sich nicht. Das erste harte Herzklopfen hatte sie sehr schnell überwunden, und auch das Ziehen um die Magengegend herum war verschwunden. Die Feuchtigkeit der Hände allerdings nicht, und auch ihren Blick konnte sie einfach nicht von dieser unheimlichen Gestalt nehmen.
    Es war kein Henker, wie man ihn oft auf irgendwelchen Bildern in den entsprechenden Büchern sah. Kein nackter Oberkörper. Keine Kapuze, die sein Gesicht verdeckte. Er sah mehr aus wie ein Mönch oder wie eine in eine dunkle Decke gewickelte Gestalt, die trotzdem eine Kapuze über den Kopf gestreift hatte, wobei das Gesicht frei blieb. Das Alter des Henkers war schwer zu schätzen. Jane sah den feinen Bartstreifen über der Oberlippe. Der Bart war ebenso dunkel wie die Augen, deren Blick starr nach vorn gerichtet war. Jane sah keinen Ausdruck des Hasses im Gesicht des Henkers, obwohl er zahlreiche Menschen umgebracht haben mußte. Die Gesichtshaut schimmerte dunkel, aber trotzdem auf eine gewisse Art und Weise bleich. Mit der rechten Hand hielt er den Griff seines Beils umklammert. Hand und Waffe ragten aus dem Ärmel hervor, und auf der Klinge hatten sich Lichtreflexe verteilt, aber es war kein Abdruck der dunklen Augen zu sehen.
    Eugen wartete, bis sich Jane Collins gefangen hatte. Dann gab er eine Erklärung ab. »So hat er auch auf dem Bild ausgesehen, Miß Collins. Das ist Rodney wie er leibt und lebt. Ich finde es einfach wunderbar, Miß Collins.«
    »Da sind wir wohl verschiedener Meinung.«
    »Er weiß jetzt auch über Sie Bescheid.«
    »Klar. Und ich über ihn.«
    »Was wollen Sie denn tun?«
    »Das weiß ich noch nicht. Jedenfalls habe ich ihn akzeptiert, das ist wohl wichtig.«
    »Ist er ein Feind?«
    »Muß er das sein?«
    »Nein. Er ist vom Schicksal bestraft worden. Er kann keine Ruhe finden. Er ist traurig.«
    »Eigentlich müßte er tot sein, Eugen. Aber er lebt trotzdem, und das ist wohl unser Problem.«
    »Nicht meines, Ihres.«
    »Meinetwegen auch das. Aber du nimmst es hin, daß ich ihn nicht so akzeptiere wie du ihn – oder?«
    »Sicher.«
    »Wie kam er denn damals um? Hat man dir das auch gesagt?«
    »Nicht gesagt. Ich habe mal etwas über ihn gelesen. Man hat ihn getötet, und man stach ihm die Augen aus.«
    »Vorher oder nachher?«
    »Es wird behauptet, daß man es vorher tat. Man wollte ihn quälen und foltern.«
    Jane schluckte. Die Vorstellung, daß jemand bei lebendigem Leibe die Augen ausgestochen worden waren, war nicht eben erhebend.
    »Weiß man auch, wer es getan hat?«
    »Nicht genau, aber man spricht von einem Mitglied aus der eigenen Familie. Es gibt keine Unterlagen darüber, aber das interessierte mich auch nicht, denn ich möchte, daß Rodney endlich seinen Frieden finden kann. Das hat er verdient.«
    »Frieden oder Rache?«
    »Er wird es auf seine Art und Weise tun.«
    Ja, dachte Jane, das wird er. Sie beobachtete die düstere Gestalt in der grauen Kutte, an der sich nichts bewegte. Er schien auf der Stelle eingefroren zu sein und sah aus wie jemand, der auf ein bestimmtes Ereignis wartete.
    »Kannst du mir
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