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100 - Die gelbe Villa der Selbstmoerder

100 - Die gelbe Villa der Selbstmoerder

Titel: 100 - Die gelbe Villa der Selbstmoerder
Autoren: Hugh Walker
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Die Menschen hier sind es. Sie sind längst keine Menschen mehr. Sie haben Hunderte von Jahren gelebt vom Leben ihrer Kinder, seit jemand irgendwelchen heidnischen Göttern ein Opfer brachte und das Geheimnis entdeckte. Als sie zu alt waren, um fruchtbar zu sein, raubten sie Kinder aus den Nachbardörfern, um ihr Leben zu nehmen. Als es zu schwierig wurde, begannen sie durch Ehen neues Blut nach Gehrdorf zu bekommen. So wie auch mich. Dann raubten sie den Neugeborenen das Leben, kaum daß sie aus dem Mutterleib waren. Wenn die Frauen herausfanden, was mit ihren Kindern geschah, wurden sie vor die Wahl gestellt, ihresgleichen zu werden oder zu sterben. Ich versuchte zu überleben und ihresgleichen zu werden, um einen Weg zur Rache zu finden. Aber ich war nicht stark genug. So schläferten sie mich ein und hingen mich an diesen Strick, damit es aussähe, als hätte ich selbst den Tod gesucht. Ich weiß nicht, warum ich gerade diese fremden Kräfte fühlte. Vielleicht deshalb, weil meine Sinne nicht vor Angst taub waren, und weil mein Haß grausam genug war. Mit ihrer Hilfe konnte ich im Haus bleiben und warten. Ich wollte sie alle töten, nach und nach. Ich hatte viel Zeit. Ich tötete Christian, der das Leben meines Kindes genommen hatte. Und ich tötete Paul, dessen Machenschaften ich es verdankte, daß ich Christian heiratete und nach Gehrdorf zog. Aber dann merkten sie, daß sie einen Feind hatten. Sie mieden das Haus, und ich fand keinen Weg, es zu verlassen. Bis sie kam…“
    Sie sah an sich hinab. Wir lauschten atemlos.
    „Sie ist kräftiger geworden“, fuhr sie fort. „Sie war so schwach. Wäre ich nicht in ihr, wäre sie bereits tot. Sie wird leben, wie sie noch nie zuvor gelebt hat. Aber ihr müßt dieses Tal verlassen. Nicht nur diese Ungeheuer dürsten nach eurem Leben. Das ganze Tal ist erfüllt von einem Hunger nach Leben, ein unirdischer, dämonischer Hunger.“
    „Wie?“ rief Berger neben mir. Der Schmerz war stärker geworden. Ich fühlte mich eiskalt. Ich schwankte und hatte Mühe, meinen Blick auf Klara und Julia zu konzentrieren.
    „Wie?“ wiederholte ich. „Rasch, wenn es noch einen Weg gibt.“
    „Ich glaube es gibt noch einen Weg“, sprach sie mehr zu sich selbst, als zu uns. „Sie müssen mich aufnehmen statt eures Lebens. Wenn ich erst in ihnen bin…“
    Julia begann zu wimmern. Willie suchte keuchend Halt. Es begann schwarz um mich zu werden.
    „Ihr müßt schlafen“, hörte ich Anna Bergen sagen. „Ihr müßt verlöschen, damit ihre Gier sich auf mich richtet. Mit Hilfe dieses Mädchens, Klara, wird es mir vielleicht gelingen, sie zu täuschen. Betet für mich.“
    Ich weiß nicht, ob wir für sie beteten. Ich glaube, wir beteten mehr für uns in diesem endlosen Augenblick, als der Schmerz und die Kälte auf so seltsame Weise nachließen und dem Schlaf wichen.
     

     

Es war, als ob nur Augenblicke vergangen wären. Ich war nicht der erste, der erwachte. Klaras Stimme war um mich, erfüllt von einer tiefen Zärtlichkeit. Ich öffnete die Augen, Benommen sah ich sie über mich gebeugt. Ihr Gesicht war nicht mehr blaß, sondern von einer inneren Röte gefärbt. Es schien mir älter, aber mehr faszinierte mich der Ausdruck ihrer Augen. Ich hatte sie noch nie so voll Leben gesehen.
    „Wieder frei?“ fragte ich.
    Sie nickte glücklich.
    „Es hat dich verändert. Du hast Gefühle?“
    „Ich fließe über.“
    Ich fand es gleich darauf bestätigt, als sie mich küßte. Für eine Weile vergaß ich die nagende Unruhe, die mich erfüllte.
    Berger war es, der uns unterbrach. Er verbiß sich sichtlich eine Bemerkung über mein Dornröschenerwachen. Klara errötete und hatte große Mühe, mit ihren ungewohnten Gefühlen fertig zu werden. Ich lächelte, wurde aber sofort ernst.
    „Was ist geschehen?“
    „Das weiß der Teufel“, fluchte er. „Ich habe Bertrand nach oben geschickt. Er hat nichts Verdächtiges gesehen. Das Haus ist leer. Die Gehrdorf er sind fort.“
    „Sie haben sich zurückgezogen?“ entfuhr es mir.
    „Es sieht so aus“, antwortete er. „Aber ich traue dem Frieden nicht.“
    Ich sah mich um. Willie begann sich eben zu regen. Kurt lag still. Julia mußte eben erwacht sein. Sie hatte sich aufgesetzt und blickte uns unsicher an. „Mama?“ murmelte sie, als Klara sich zu ihr begab.
    Klara schüttelte den Kopf und nahm die Kleine in die Arme. Sie redete beruhigend auf sie ein, und Julias beginnende Tränen versiegten. Ihr Gesicht war frischer geworden, so als
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