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0985 - Libertys Tränen

0985 - Libertys Tränen

Titel: 0985 - Libertys Tränen
Autoren: Simon Borner
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sah sich um. Das Museumsfoyer war ein kleiner, weiß verputzter Raum mit einem Kassenfenster, hinter dem niemand saß, und einer Souvenirshop-Ecke, deren Deckenbeleuchtung ausgeschaltet war. Ein offener Durchgang führte ins eigentliche Museum.
    »Hallo?«, rief Andy. »Mr. Jennings, sind Sie da irgendwo? CIPD.«
    Keine Antwort. Die Stille schien absolut, nirgends regte sich etwas.
    Zamorra ging weiter ins Gebäudeinnere, doch sein Instinkt und das warme Gefühl des Amuletts auf seiner Brust rieten ihm, vorsichtig zu sein.
    Das Museum entsprach seinem Namen voll und ganz. Wohin der Professor auch blickte, sah er mehr oder weniger uninteressante Exponate und Schautafeln zur Geschichte der Insel und ihrer menschlichen Besiedelung. Hier hing ein riesiger Spiegel an der Wand, dort lud eine Sitzecke zum Schmökern in historischen Büchern ein. Ein beleuchtetes Diorama illustrierte sogar den Überfall der Siwanoy auf Anne Hutchinson und deren Haushalt, und ein altes Ölgemälde zeigte einen Zweimaster, der frappierende Ähnlichkeit mit dem Geisterschiff vom frühen Morgen besaß. Zu Zamorras Überraschung prangte am Bug des Seglers, der laut Bildlegende aus dem Jahr 1648 stammte, der Name Libertys Tränen. Ironie des Schicksals?
    »Hallo?«, rief Andy erneut, als sie mitten im etwa sechzig Quadratmeter messenden Ausstellungsraum standen. »Ist jemand hier?« Als abermals nichts geschah, sah er zu Zamorra. »Halten Sie mich für verrückt, Professor, aber ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.«
    »Geht mir ähnlich«, erwiderte der Meister des Übersinnlichen leise.
    Dann veränderte sich alles!
    Zamorra spürte, wie Merlins Stern
    aktiv wurde. Binnen eines Sekundenbruchteils hatte das Amulett erneut den Schutzschild erschaffen. Aber warum? Die Antwort darauf bekam er erst, als er in Andys schreckgeweitetes Gesicht sah.
    Hinter mir!, begriff er, Andys entsetztem Blick folgend. Es geschieht hinter mir.
    Sofort wirbelte er herum - und sah sich einem Gegner gegenüber, mit dem er nie gerechnet hätte: Amy!
    Aus dem unscheinbaren Wandspiegel war eine Fläche wabernden Nebels geworden. Ein grünes Licht strömte von ihm aus, und der Nebel verfestigte sich blitzschnell zum Körper der jungen Polizistin.
    »Amy, was…«, setzte Andy an. Ratlos sah er von ihr zu Zamorra. »Was geschieht hier?«
    Dann griff sie an. Mit rasender Geschwindigkeit und einer Kraft, die alles Menschliche in den Schatten stellte, drang die Vermisste auf Zamorra ein, scheiterte aber an dem magischen Schild. Blitze entluden sich in ihrem Leib, brachten ihre Uniform zum Schwelen. Doch Amy - oder besser: dem, was aus Amy geworden war - schien dies nichts auszumachen! Schon wandte sie sich um und Andy zu.
    Ihre Augen waren rot glühende Kanonenschächte; zwei Strahlen purer schwarzmagischer Energie schossen aus ihnen heraus und auf den Sergeant zu. Andy schaffte es gerade noch, sich zur Seite zu werfen, woraufhin die dämonischen Strahlen statt seiner eine in historischen Zwirn gekleidete Schaufensterpuppe mit Hutchinsons Antlitz pulverisierten.
    Und Amy setzte nach.
    Zamorra reagierte prompt. Bevor die unheimliche Gegnerin seinen Begleiter erreichen konnte, ließ er eine weitere Salve aus Blitzen auf sie niederfahren.
    Die junge Frau bebte förmlich. Ihr Mund öffnete sich und entließ einen Schrei, der so schrill und hohl klang, als halle er direkt aus den Schwefelklüften wider. Ihr Leib zitterte, und je mehr der haardünnen Blitzfäden sie trafen, desto unregelmäßiger wurde seine Form.
    Leider hinderte sie das nicht daran, nun ihn anzugreifen! Amy drehte den Kopf zur Seite und richtete ihre tödlichen Augen auf Zamorra. Der Meister des Übersinnlichen keuchte gequält auf, als die roten Strahlen gegen den Schild aus wabernder Lichtenergie prallten. Zwar schützte diese ihn nach wie vor, doch fraß Amys Attacke seine wenigen verbleibenden Kraftreserven schneller auf, als er es sich leisten konnte.
    Mühsam konzentrierte er sich auf die mehr und mehr entkörperlichte junge Frau.
    Der Nebel, begriff Zamorra. Sie verwandelt sich in den Dunst zurück, aus dem sie kam, wenn meine Blitze sie treffen! War das die Lösung?
    »Amy!«, drang Andys Ruf durch den Lärm, den das magische Duell erzeugte. »Amy, nicht! Das… Das bist nicht du.«
    Damit mochte er mehr recht haben, als er vermutete, befürchtete der Professor. Andererseits: Als Andy den Dienstrevolver zückte und auf die Kollegin anlegen wollte, hob Zamorra warnend die Hand. »Nicht«, bat er laut.
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