Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0965 - Die zweite Unendlichkeit

0965 - Die zweite Unendlichkeit

Titel: 0965 - Die zweite Unendlichkeit
Autoren: Simon Borner
Vom Netzwerk:
war, stoppte er nun seinen wilden Tanz, direkt vor dem Fenster. Und aus substanzloser Schwärze wurde wieder die grauhaarige, schwarz gekleidete Hünengestalt. Der Mensch.
    Die Energieblitze verschwanden sofort. Auch das Eis schmolz binnen eines Sekundenbruchteils. Zamorra, Ellie, Ben und Nicole fielen vornüber in den Raum, frei, frierend und nass bis auf die Knochen. Zamorra hielt die Balance und kam neben seiner Gefährtin auf, die auf dem Boden aufgeschlagen war, aber nun die Augen öffnete.
    Ellie kroch auf Ben zu und umarmte ihn. Durch den dünnen Stoff ihrer Overalls konnte er ihren Körper spüren. Das wilde, trotzige, starke Schlagen ihres Herzens.
    Doch Augen hatte er nur für die Gestalt im Fenster. Für den Korken.
    Das war es, was aus Kyrgon geworden war, oder? Ein Stopfen in der Unendlichkeit. Der Jäger hatte gewusst, was er tat, als er seine menschliche Gestalt wählte. Denn die Blitze mochten durch seine Wolkenexistenz gedrungen sein, aber gegen einen soliden Körper aus Fleisch, Blut und Knochen konnten sie nichts ausrichten. Sie konnten ihn nur treffen, fixieren und töten.
    Kyrgon war ein Eisklumpen geworden. Und er blockierte den einzigen Zugang zur Kammer der Alten, den die Energiestrahlen gehabt hatten.
    Ein weiteres Beben erschütterte das Haus. Wände bekamen Risse. Putz bröckelte. Nicht mehr lange, und dieser bizarre Irrgarten aus Fallen und Vernichtung würde selbst vernichtet sein. Ben musste das Hausbewusstsein nicht erlauschen können, um das zu ahnen.
    »Schaut!«, rief Ellie plötzlich und deutete, ohne von ihm abzulassen, mit einem ihrer vor Kälte zitternden Arme auf die Alte im Schaukelstuhl.
    Ben traute seinen Augen kaum: Die staubbedeckte Großmutter des Satans lächelte!
    »Was… Was bedeutet das?«, stieß er mit bebender Stimme hervor.
    Zamorra klopfte ihm jovial auf die Schulter. »Es bedeutet ›Auf Wiedersehen‹«, antwortete der Meister des Übersinnlichen. »Halten Sie Ihre Ellie fest, Ben. Der Rest findet sich dann schon.« Damit schlang er die Arme um die am Boden liegende und sichtlich geschwächte Nicole.
    Noch bevor Ben Campbell fragen konnte, was Zamorra damit meinte, explodierten sämtliche Wände um ihn herum gleichzeitig.
    Und alles wurde schwarz.
    ***
    »Monsieur, wollen Sie mich zu Tode erschrecken?«
    Madame Claires schriller Ausruf riss Zamorra zurück aus dem Dunkel, das seinen Geist für einen kurzen Moment umfangen hatte. Blinzelnd sah er sich um. Sein Blick fiel auf Töpfe, Pfannen, einen Herd - und eine schreckensblasse Köchin, die sich die Hände an die Brust hielt, als wolle sie so ihr Herz vorm Zerbersten bewahren.
    Das ist Claires Küche , schoss es ihm durch den Kopf. Das ist daheim.
    Mit einem Mal wurde er sich auch des Körpers an seiner Seite bewusst. Zwei schwache Arme lagen um seinen Hals, und seine eigenen Arme umklammerten die weiche, vertraute Gestalt Nicole Duvals. Nicis Kleidung war zerfetzt und von Schmelzwasser durchtränkt, letzteres galt auch für ihr Haar und seine eigene Garderobe. Und dennoch - einen schöneren Anblick hätte er sich nicht vorstellen können.
    »Schnell, ein paar Handtücher«, stieß er bibbernd hervor.
    Madame hatte längst reagiert. Per Haustelefon alarmierte sie bereits William und den Rest des Personals. Wenige Sekunden später erschien der patente Hausdiener der verstorbenen Lady Patricia, der nun hochoffiziell in Zamorras Diensten stand, in der Tür der Küche.
    Hinter ihm folgten Gryf und eine ganze Armada an Mädchen mit Handtüchern und frischer Kleidung.
    Madame Claire wehrte sie ab. »Nichts da, umgezogen wird sich erst nach einem heißen Bad. Emmeline, lassen Sie im oberen Badezimmer Wasser einlaufen. Ich mache derweil eine Suppe heiß. Monsieur und Madame sind ja durchgefroren.«
    Eine gute Stunde später, Nicole lag noch oben im wärmenden Wasser und genoss die Entspannung, saß Zamorra mit Gryf vor dem knisternden Kaminfeuer im Wohnzimmer des Château Montagne, eine dampfende Tasse Grog in den Händen. Er hatte dem Silbermonddruiden alles erzählt, und Gryf hatte aufmerksam zugehört.
    »Unfassbar«, sagte der äußerlich so jung wirkende Mann nun. »Eine zweite Unendlichkeit. Eine parallele Existenzebene, in die man einfach so hereinstolpert. Ohne zu wissen, dass sie überhaupt da ist.«
    »So erkläre ich's mir«, gab Zamorra zurück. »Die M-Abwehr des Châteaus konnte gar nichts gegen dieses Haus unternehmen, weil es nur in den Sekundenbruchteilen da war, in denen Nicole und ich aus dieser in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher