Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0965 - Die zweite Unendlichkeit

0965 - Die zweite Unendlichkeit

Titel: 0965 - Die zweite Unendlichkeit
Autoren: Simon Borner
Vom Netzwerk:
Eine Wand aus Flammen. Und inmitten von allem…
    ZAMORRA.
    Er ist es, der Meister des Übersinnlichen. In dieser Vision steht er direkt an der Kante einer steinigen Schlucht.
    Die Luft flirrt vor Hitze. Es stinkt nach Schweiß, Schwefel und vergessenen Träumen. Zamorra hat die Arme hoch erhoben, als wolle er mit Naturgewalten kämpfen. Und aus dem Abgrund vor ihm schießt sie hoch - die Wand aus Flammen. Lodernd und heiß. Sie ist das Ur-Feuer, heißer als die heißeste Lava. Nichts hat vor ihr Bestand, das weiß Ellie instinktiv, denn diese Flammenwand kennt keine Rücksicht. Kennt nur die Gier.
    Professor!, will Ellie warnend schreien, doch sie hat hier keinen Mund, keinen Körper. Und was sie sieht, ist ohnehin nicht real. Auch wenn es sich so anfühlt.
    Ellie versucht wegzusehen und den Blick vor dem sicheren Flammentod des Dämonenjägers abzuwenden. Aber es geht nicht. Ihr ist, als zwinge ihr besonderer Sinn sie dazu, alles mitzuerleben. Zeugin von Zamorras Untergang zu sein.
    Die Flammen lodern und toben. Sie reißen an seinen Haaren und seiner Kleidung, wüten über seinen Leib. Bald, scheinen sie zu sagen. Bald.
    Und Ellie begreift..
    ***
    Als sie die Augen wieder öffnete, war sie zurück in der Kammer. Alles war unverändert, also waren maximal Sekunden vergangen.
    Ben stützte sie, das Gesicht ein einziges Fragezeichen. »Alles in Ordnung? Was erlauschst du da, Ell?«
    Es schmerzte sie, ihn so zu sehen. So ratlos und allein. Aber dies war nicht der Moment für Erklärungen. Die Zeit drängte. »Professor«, rief sie und streckte schon die Hand nach ihm aus. »Schnell, kommen Sie. Ich muss Ihnen etwas zeigen.«
    Musste sie das wirklich? Konnte sie es überhaupt? Sie hoffte es. Schließlich empfing sie die Bilder und Ben nicht. Dafür musste es doch einen Grund geben! Nun, dies mochte er sein.
    Zamorra sah sie an, als könne er ihr im Gesicht ablesen, was sie dachte. Vermutlich konnte er das sogar.
    »Was im Namen aller Höllenfürsten«, murmelte Nicole Duval. Inzwischen war sie näher an den Schaukelstuhl getreten. Immer wieder glitt ihr Blick zwischen der nun wieder völlig normal wirkenden Wand, in der Kyrgon verschwunden war, und dem uralt wirkenden Sitzmöbel hin und her.
    Zamorra, das Amulett umklammernd und die andere Hand beim Dhyarra in seiner Jacketttasche, machte einen Schritt auf es zu, doch Ellie streckte warnend den Arm aus. »Nicht«, sagte sie laut. »Nicht näher kommen.«
    Wieder wandte er sich zu ihr. »Was ist es, Ellie? Sie wissen, was hier läuft - das sagt mir Ihr erschrockenes Gesicht. Teilen Sie Ihr Wissen mit uns, bevor es zu spät ist. Bevor noch mehr draufgehen.«
    Wie sollte sie es ihm sagen? Wie drückt man aus, wofür es keine Worte gibt?
    Er ist der Meister des Übersinnlichen , schoss es ihr durch den Kopf. So hat Nicole ihn genannt. Er wird es schon verstehen, wenn er es erlauscht.
    »Ich zeige es Ihnen«, sagte sie, streckte die Hand aus.
    Ohne zu zögern griff Zamorra zu.
    ***
    Die Gestalt im Schaukelstuhl sah aus, als sei sie älter als die Zeit selbst. Es war eine Frau. Ihr eingefallenes, von dünnen Spinnweben überzogenes Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, ihre Haut kaum noch mehr als eine pergamentähnliche Decke, durch die die Umrisse der Knochen deutlich durchschienen. Ihr Haar war zurückgekämmt und zu einem Dutt gebunden. Sie trug Kleidung, die großmütterlich wirkte: Wolljäckchen, brauner langer Rock, Bluse mit Spitze, Brosche am Kragen. Und sie war von Kopf bis Fuß mit einer dicken Staubschicht bedeckt.
    Sie musste sich seit Jahrzehnten nicht mehr bewegt haben.
    Zamorra glaubte es gern, denn nichts an dieser Gestalt legte nahe, dass noch Leben in ihr wohnte. Nichts außer ihren Augen.
    Oh, er kannte dieses Feuer. Er kannte es gut. Das gleißend rote Leuchten in den pechschwarzen Augäpfeln. Ein Licht, in dem man zu ertrinken fürchtete, wenn man nur lange genug hineinschaute.
    Zamorra erschauderte. »Die Hölle«, murmelte er. Fassungslos. »Ich verstehe es nicht, aber ich weiß es. Das da stammt aus der Hölle.«
    Ellie Campbell hatte ihn an der Hand genommen und an den Schaukelstuhl geführt, in dem die Alte saß. Trotz Bens und Nicoles Protesten. Aber es war nichts geschehen. Das, was Kyrgon widerfahren war, hatte sich nicht wiederholt. Die Falle dieses Zimmers war bei dem Jäger zugeschnappt, bei Zamorra und Ellie verzichtete sie. Zamorra wusste den Grund dafür nicht. Allerdings glaubte er, dass Ellie ihn wusste - und wenn auch nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher