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0965 - Die zweite Unendlichkeit

0965 - Die zweite Unendlichkeit

Titel: 0965 - Die zweite Unendlichkeit
Autoren: Simon Borner
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eine weitere Falle wird?«
    Zamorra schüttelte leicht den Kopf. »Ich bezweifle, dass wir es hier mit so etwas zu tun haben. Dafür war der Weg hierhin zu ungewöhnlich. Und außerdem…«
    Er musste nicht weitersprechen. Ellie verstand ihn auch so, erlauschte seine Gedanken. Zamorra baute auf seinen Instinkt, und der sagte ihm, dass dies das Herzstück des grotesken Hauses sein musste. Der Kern.
    »Außerdem was?«, drängte Kyrgon ungehalten.
    Zamorra ließ Ellies Hand los, hob mahnend einen Finger an die Lippen. Dann trat er weiter in den Raum. Mit skeptischem Blick sah er sich um, vorsichtig. Sehr, sehr vorsichtig.
    »Ellie?«, flüsterte er, ohne sie anzusehen.
    Und sie verstand, was er meinte. »Es ist hier«, sagte sie leise. »Was immer es ist, ich spüre es. Wir sind nicht allein.« Sie versuchte, sich genauer auf die Eindrücke zu konzentrieren, doch ihre Angst wuchs sekündlich und machte das Lauschen schwer.
    Der Schaukelstuhl stand mit dem Rücken zu den Gefährten und war zu dem kleinen Fenster ausgerichtet, das sich in der hinteren Wand befand und abermals einen Blick auf das seltsame Nichts dort draußen bot, auf Willoughbys zweite Unendlichkeit.
    Ellie hielt den Atem an. Es geschah. Was immer es auch war, es geschah.
    Jetzt!
    Kyrgon trat auf das von dichten Spinnweben umrahmte Sitzmöbel zu, beugte sich vor, um zu sehen, ob sich jemand in ihm befand - und flog plötzlich durch die Luft! Wie von einer unsichtbaren Druckwelle getroffen, wurde er von den Beinen gerissen und in die Höhe geschleudert, während die Welle ihn gleichzeitig zurückdrängte. Orientierungslos, hilflos, wehrlos schoss er durch die staubige Kammer und knallte rücklings gegen die Wand. Der Aufprall trieb die Luft aus seinen Lungen und ließ den Putz rieseln.
    Ellie schrie.
    Nicole eilte zu dem benommen daliegenden Kyrgon, hielt aber inne, als plötzlich die Wand zu leuchten begann! Gleißende Helligkeit ergoss sich aus ihr und in den Raum.
    »Wie im Keller«, keuchte Ben. Er hielt sich die Hände an die Schläfen, als drohe sein Kopf von innen heraus zu explodieren.
    »Verflucht, was -« Zamorra kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Kaum, dass er der veränderten Situation gewahr geworden war, lösten sich dünne Lichtblitze aus der Nova, zu der die hintere Zimmerwand geworden war. Wie Spinnenfäden schossen sie hervor und bildeten eine Art wabernden Kokon aus Licht um Kyrgons reglosen Körper. Dann verschwand das Gebilde - und Kyrgon mit ihm.
    Das ganze Schauspiel dauerte nicht mehr als eine halbe Sekunde. Aber es war das Bizarrste und Erschreckendste, was Ellie Campbell je gesehen hatte.
    rache das geschieht aus rache das ist alles ein unfassbar böser racheakt und viel mehr
    Sie konnte sich nicht erklären, woher das Wissen plötzlich kam. Schließlich hatte sie in all den Jahren nie etwas erlauscht , was Ben verborgen geblieben war - und dass Ben hier nichts empfing, machte schon ein einziger Blick auf sein schmerzverzerrtes Gesicht deutlich. Aber es war da, regelrecht direkt vor ihrer Nase. Sie musste nur zugreifen. Doch hatte sie den Mumm dazu?
    Es ging alles blitzschnell. Ellie sah zu ihrem Begleiter. Dachte an Kyrgon. An Smith und die Asiatin. An die Toten im Keller des Leviathans. Wir sind ein Team, Ellie. Das waren Nicoles Worte gewesen. Was immer du nicht schaffst, schaffen wir. Für dich.
    Und Ellie Campbell fällte eine Entscheidung.
    ***
    Sie schließt die Augen - und öffnet sie dadurch in ihrem Geist.
    Ellie lauscht.
    Die Schwärze ist wieder da, genau wie vorhin. Der Übergang zum Kern. Ellie schwebt in ihm, körperlos und leicht. Hier gibt es kein Oben und Unten mehr. Doch diesmal hat Ellie gar keine Angst vor dem Nichts, denn sie weiß, weshalb sie in ihm ist. Sie allein entscheidet. Sie hat eine Aufgabe. Und weil sie die hat, hat sie auch ein Ziel.
    Niemand, der ein Ziel hat, kann verloren sein, richtig?
    Am Anfang ist da nur die Leere. Ein endlos scheinender Raum aus Dunkelheit, in dem es keinen Halt gibt, nichts außer ihrem Bewusstsein.
    Doch dann kommen die Bilder. Es sind Standaufnahmen, ohne Ton und ohne Bewegung. Aber sie genügen, Ellie angst und bange werden zu lassen.
    Sie sieht Dinge, die ihr vertraut vorkommen, obwohl sie unfassbar fremd sind, bizarr und abstoßend. Es sind Eindrücke eines anderen. Dinge, die sie erlauscht. Eine nackte Frau mit ledernen Schwingen und gewundenen Hörnern auf der Stirn. Ein Chinese unbestimmbaren Alters mit blutverschmiertem Mund und gierigem Funkeln in den Augen.
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