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0958 - Die Kinder des El Rojo

0958 - Die Kinder des El Rojo

Titel: 0958 - Die Kinder des El Rojo
Autoren: Volker Krämer
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weil ich mich nach dem Klang des Dschungels sehne. Nicht, dass ich ihn früher gemocht hätte, doch nun… Alles scheint verändert zu sein, Patron. Sag du mir, was hier passiert. Sind wir in Gefahr? Ich glaube, der verdammte Dschungel ist tot - und das, was ihn umgebracht hat, lauert jetzt dort. Lauert und wartet es auf uns?«
    El Rojo starrte an Alejandro vorbei in den Dschungel hinein. In seinem versteinerten Gesicht konnte der alte Mann nicht lesen, denn Gefühle ließ der Vampir niemals nach außen. Dennoch hatte Alejandro das seltsame Gefühl, als würde sein Patron innerlich beben.
    »Ja, dort lauert etwas. Doch es lauert nicht direkt in dem Urwald, sondern weiter dahinter. Seine böse Kraft wirkt in alle Richtungen - und sie wirkt weit.« El Rojo wandte den Kopf wie in Zeitlupe zu seinem Verwalter hin. »Gestern habe ich zwei meiner Clansbrüder in den Wald geschickt. Sie sollten die Lage erkunden und nach den Leichenbäumen sehen.«
    Die Opfer der Vampire wurden in diesem Dschungelstreifen kopfüber in die Schlingpflanzen der Baumriesen gehängt. Kinder, die nicht den Erwartungen entsprachen, die El Rojo in sie setzte, mussten dort eine Nacht verbringen. Mitten zwischen den Toten. Wenn sie dabei nicht dem Wahnsinn verfielen, dann konnten die Vampire sicher sein, dass sie von dieser Nacht an perfekt funktionierten. Eine zweite Nacht wollte niemand riskieren…
    Alejandro nickte.
    »Was haben sie dir berichtet, Patron?«
    El Rojo zuckte leicht mit den Schultern.
    »Nichts, denn sie sind nicht zurückgekommen. Ich bin sicher, dass sie nicht mehr existieren.«
    Alejandro richtete sich auf seinen Krücken auf.
    »Wenn du willst, dann schicke ich ein paar Männer, die nach den Verschollenen suchen sollen. Oder ich mache mich selbst auf den Weg - du musst es nur sagen.«
    In seiner beinahe hündischen Unterwürfigkeit war der alte Mann kaum zu ertragen, doch El Rojo ging mit einer Handbewegung darüber hinweg.
    »Keiner würde mehr den Weg hierher schaffen - auch und gerade du nicht. Nein, zwei Opfer sind genug. Wenn geschieht, was ich befürchte, dann müssen wir drastische Maßnahmen ergreifen. Oder wir suchen unser Heil in der Flucht. Halte dich also bereit.« El Rojo sah die Frage in Alejandros Augen. Er gab dem alten Mann die Information, die der begehrte. »Ich fürchte, dass das, was auch immer dort seinen Machtbereich aufgebaut hat, diesen noch erheblich vergrößern will. Jetzt ist der Waldrand die Grenze zwischen ihm und uns, aber für wie lange noch?« Der Drogenboss wandte sich um und ging in Richtung des Hauptgebäudes. Für ihn war das Gespräch damit beendet.
    Für Alejandro jedoch noch nicht.
    »An welche Maßnahmen denkst du?«
    Der Vampir blieb nicht stehen, doch er antwortete seinem Faktotum.
    »Daran, den ganzen verdammten Dschungel in eine einzige große Fackel zu verwandeln.«
    Der Alte blickte seinem Patron nach. Eine Fackel? Der Dschungel war so nahe an den Gebäuden gelegen, dass ein solcher Brand mit Sicherheit das ganze Anwesen vernichtet hätte.
    Und mit ihm die Kinder.
    Doch das schien El Rojo absolut kalt zu lassen.
    ***
    Das Militär hatte tatsächlich einen äußerst effizienten Sperrgürtel um das Areal gezogen, das hinter dem Anwesen des Drogenkartells Rojo seinen Anfang hatte. Noch immer verstand Artimus die Zusammenhänge nicht ganz, denn sein Spanisch kam über die Floskeln des Alltags nicht hinaus. Er würde in Kolumbien - und all den Ländern der Erde, in denen man diese Sprache benutzte - nicht verdursten und verhungern müssen, konnte sich durchaus auch ein Hotelzimmer buchen oder auf einem Marktplatz mit den Händlern um den Preis feilschen, doch damit endeten seine Künste dann auch schon wieder.
    Während der Fahrt zu dem Anwesen der Drogenhändler hatte Artimus das Radio des Jeeps ständig angelassen. Immer wenn er auf einem Sender Nachrichten erwischen konnte, hielt er an und versuchte zu erahnen, worum es ging. Genau wusste er nicht, auf welche Meldung er wartete, doch sie sollte etwas mit diesem Teil des Landes zu tun haben. Was er sich jedoch zusammenreimen konnte, lief alles auf vollkommen andere Themen hinaus.
    Doch das wunderte den Physiker im Grunde überhaupt nicht. Hier hatte das Militär das Kommando übernommen - sicher gemeinsam mit der Regierung Kolumbiens, doch es war überall auf der Welt das gleiche Spiel: Die Generäle trafen die Entscheidungen, nicht die Politiker. Warum also hätte das hier anders sein sollen? Und Generäle hatten eine Maxime:
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