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0928 - Der Fliegenmann

0928 - Der Fliegenmann

Titel: 0928 - Der Fliegenmann
Autoren: Jason Dark
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daß sie es schaffte, auf die Beine zu kommen. Zwar benutzte sie nach wie vor den Grabstein als Stütze, aber die alten Beine trugen ihr Gewicht. Sie holte auch ihre Tasche, warf dem Grab ihres Sohnes noch einen Blick zu und hatte zugleich den Eindruck, daß sie am nächsten Tag nicht herkommen würde. Sie konnte selbst nicht sagen, weshalb sich ihre Gedanken damit beschäftigten, aber es war nun mal so.
    Bevor sie darüber ins Grübeln geraten konnte, machte sich Jovanka auf den Rückweg.
    Der Himmel hatte seine Helligkeit verloren. Zwar schien noch die Sonne, aber sie war tiefer gesunken. Der Tag näherte sich dem Ende, der Abend würde kommen und die Helligkeit besiegen. Leider riß er die Wärme nicht mit sich, die letzten Nächte waren sehr schwül und warm gewesen, aber darunter hatte ganz Europa zu leiden, nicht nur Tschechien.
    Den Weg in den Ort kannte sie im Schlaf. Das Dorf hieß Petlery.
    Früher einmal war es deutsch gewesen, doch seit fünfzig Jahren tschechisch.
    Man konnte es als ein vergessenes Dorf bezeichnen, denn die stürmischen Zeiten waren vorbei. Geblieben aber waren die Menschen, die sich darüber nicht unglücklich zeigten, denn sie lebten so vor sich hin und hüteten sich auch davor, sich als arm zu bezeichnen, denn was sie zum Leben brauchten, das hatten sie. Die meisten waren Bauern, die ihre Waren zudem noch auf dem Markt in der Stadt verkauften und auch gute Preise erzielten.
    Nicht bei den Einheimischen, sondern bei den Touristen, die wieder nach Böhmen strömten. Darunter befanden sich viele Deutsche, die hier einmal gewohnt hatten. Auch sie waren alt geworden. Ihre Söhne und Enkel zeigten an der alten Heimat nur wenig Interesse.
    Sie schauten sich zwar um, aber das war auch alles.
    Nach Petlery hatten sich nur wenige Vergangenheits-Touristen verirrt. Der Ort war einfach zu klein. Und wenn, dann hatten sie den Friedhof besucht, wo in den ältesten Gräbern noch die Vorfahren der Besucher lagen.
    Kleine Häuser, oft windschief gebaut. Ebenso schief wie die Lattenzäune, die die Grundstücke einfriedeten. Es gab kein Schloß, keine stolze Kirche, selbst sie war nicht größer als eine Kapelle. Ackerland umgab das Dorf, aber auch Weiden, kleine Bäche und Erhebungen.
    Wer ein Auto besaß, war König. Die meisten alten Wagen rollten jedoch nur, wenn man ihnen gut zuredete. Es waren schmutzige Rostlauben, die keine weite Reise mehr bewältigen konnten. Jede Fahrt war ein Risiko. Kam man an oder nicht?
    Wer jung war, der versuchte, woanders sein Geld zu machen. Deshalb waren auch viele jüngere abgewandert, und selbst die älteren hatten sich auswärts eine Arbeit gesucht.
    Einige beim mächtigen Nachbarn Deutschland, wo sie als Kellner oder Erntehelfer tätig waren, andere wiederum hatten sich in die neuen Fabriken locken lassen, die von ausländischen Investoren gebaut worden waren. Arbeitsplätze, die in den Hochlohnländern für immer verschwunden waren.
    Das alles war nichts für Jovanka. Sie wollte und konnte ihr Leben nicht mehr ändern.
    Ein Nachbar überholte sie. Er saß auf einem alten Wagen, der von einem Pferd gezogen wurde. Auf der Ladefläche stappelten sich Heuballen, die zusammengebunden waren. Der Mann fuhr bereits das Winterfutter für sein Vieh ein.
    »Wie geht es dir, Jovanka?«
    »Wie immer.«
    Der Mann ließ den alten Gaul langsamer gehen. »Du warst auf dem Friedhof?«
    »Wie jeden Tag.«
    »Ist lange her, das mit deinem Sohn, nicht?«
    »Ja, fünf Jahre schon.«
    »Und keiner weiß, wer ihn überfahren hat?«
    Jovanka nickte.
    Der Mann nickte ebenfalls. »Wenn du willst, kannst du heute abend vorbeikommen?«
    »Und dann?«
    Er hob die Schultern. »Wir wollen uns nur zusammensetzen und ein bißchen reden.«
    Die alte Frau lächelte. »Danke, Joseph, ich werde es mir überlegen.«
    »Ja, tu das.« Er schlug mit den Zügeln auf den breiten Pferderücken, und das Tier ging schneller.
    An allen Häusern hatte der Zahn der Zeit kräftig genagt. Viele warteten auf eine Renovierung, aber die meisten wurden nur notdürftig geflickt. So waren nicht alle Dächer mit Ziegeln bedeckt, viele nur mit Holzlatten und Dachpappe. Früher hatte man das Material nur durch Beziehungen bekommen, heute nur für viel Geld.
    Auch das Haus der Witwe zeigte Spuren des Verfalls. Im Dach gab es einige Löcher, die sich malerisch verteilten. In den oberen Bereichen regnete es deshalb hinein. Auch der Verputz des Hauses hätte zum Teil ausgewechselt werden müssen; er war längst verwittert.
    In
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