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0927 - Nacht über GALAHAD

0927 - Nacht über GALAHAD

Titel: 0927 - Nacht über GALAHAD
Autoren: Simon Borner
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»Sehen wir doch mal, was da hinten noch so ist.« Normalerweise sprach Ellen nicht mit sich selbst - als berufstätige Mutter dreier Kinder und Gattin eines viel beschäftigten Sozialarbeiters fehlte ihr einfach die Zeit dafür -, doch nun fand sie den Klang ihrer eigenen Stimme tröstend. Er war ein Anker in der Einsamkeit, der sie an die Welt da draußen erinnerte.
    » Serenity , ein Fischkutter, registriert auf den alten McDougall aus der Tennant Road.« Schritt für Schritt ging sie auf das hintere Ende des Raumes zu, das überwiegend im Schatten lag, und betete dabei die Fakten des Falles herunter wie ein Mantra. »Rast mitten in der Nacht führerlos in den Hafen von Invergordon und reagiert dabei weder auf Funk-, noch auf Lichtsignale. Knallt gegen einen Steg und reißt sich ein beachtliches Loch in die Seite.«
    Ja, und nun lag er da. Wie ein gestrandeter Wal, an dem sich Raubtiere gütlich getan hatten. »Der Steuermann, der auf der Brücke gefunden wurde, sah aus, als wäre er in ein Piranha-Becken gefallen.«
    Mann, sie hatte die Nachtschicht noch nie gemocht. Wenn überall Schatten waren und die Stadt wie ausgestorben wirkte, befanden sich nur noch die Verrückten auf den Beinen, die Ausgegrenzten und Verschrobenen. Denen ging sie lieber aus dem Weg. Doch Job war Job. Sie hatte noch nie gekniffen, hatte viel gesehen. Bloß das hier übertraf alles Bisherige um Längen.
    »fallen«
    Ellen erstarrte mitten in der Bewegung. Hatte sie sich das eingebildet, oder…
    Langsam hob sie die Stablampe, richtete ihren schmalen Lichtkegel in die Ecken des Raumes. Die Energie des Strahls reichte nicht einmal aus, um die drei Meter direkt vor Ellens Stiefeln halbwegs nennenswert zu erhellen.
    »Hallo?«, fragte sie in die Stille. In die Dunkelheit. »Ist da jemand?«
    Schweigen.
    Zögernd machte sie einen weiteren Schritt auf die Schatten zu. Ein Überlebender vielleicht, doch noch? Hatte sie einen Zeugen der Tragödie gefunden, oder spielten ihr ihre überreizten Nerven einen Streich?
    »emand«
    Ganz leise, nahezu ein Wispern. Ein Geräusch, wie ein Echo - und wäre sie nicht angespannt lauschend dagestanden, sie hätte es sicher nicht bemerkt. Aber es war da, es war real! Irgendwer in der Ecke vor ihr wiederholte ihre letzten Silben.
    Ellen schluckte trocken. Bilder eines gallertartigen Menschen schoben sich vor ihr geistiges Auge, der in Agonie gegen seine eigene Auflösung ankämpfte. »Hier ist die Polizei«, sagte die Beamtin schwach. »Ich kann Ihnen helfen.« Ihre Rechte glitt zum Gürtel und zum Funkgerät.
    »elfen«
    »Genau«, bestätigte sie mit kratziger Stimme. »Helfen.« Da! Ein Schuh, ein Bein. Formen schälten sich aus den Schatten, nahmen menschliche Konturen an. Ein Mann. Er…
    Im nächsten Augenblick ließ Ellen Glenister das Funkgerät fallen, dann die Taschenlampe. Wasser plätscherte, als schlurfend eine Gestalt vor ihr aus dem Dunkel ins Licht trat. Sie war groß, sicher knapp eins neunzig. Breite Schultern, breiter Brustkorb - und ein Gesicht, das aus den tiefsten Tiefen der Hölle gekommen sein musste!
    »elfen«, sagte das Monstrum.
    Plötzlich geschah alles unfassbar schnell. Die Kreatur öffnete ihr Maul, hob die Arme. Dann sprang sie aus dem Stand vor, überquerte binnen eines einzigen Augenblicks scheinbar mühelos eine Distanz von fünf Metern - und riss Ellen von den Beinen.
    Noch bevor die Polizistin auf dem Boden aufkam, hatte der unheimliche Angreifer bereits eine klaffende Wunde in ihren Hals gerissen. Ellen erwachte aus ihrer Schockstarre, doch sein immenses Gewicht auf ihrem Körper trieb ihr die Luft aus den Lungenflügeln, pinnte sie wehrlos auf den Boden. Wasser lief in ihre Ohren und vermischte sich mit dem Blut, das in pulsierenden Bächen aus ihrem geschundenen, sterbenden Körper schoss.
    ***
    Evan Donovan traute seinen Augen nicht, als er zurück ins Bootsinnere trat. »Hey!«, schrie er und stürzte auf seine am Boden liegende Partnerin zu. Ellen röchelte, zuckte. Wahre Fontänen schossen pulsierend aus dem roten, feuchten Etwas, das einmal ihr Hals gewesen war.
    Blut, überall war Blut… Und auf einmal trat ein Monster aus dem Dunkel.
    Das Wesen waberte. Jeder Teil seines unwirklichen, gallertartigen Körpers war in Bewegung, wallte ohne Unterlass und erzeugte widerwärtige schmatzende Geräusche. Der Anblick war unbeschreiblich, unfassbar.
    Mit einem leisen Hissen öffnete die Kreatur ihre dünnen, blutbeschmierten Lippen und entblößte zwei unebene Zahnreihen.
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