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0919 - Bücher des Grauens

0919 - Bücher des Grauens

Titel: 0919 - Bücher des Grauens
Autoren: Simon Borner
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mit den leuchtenden Augen, den der unbekannte Künstler dort neben dem Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern verewigt hat, kennt unsere Prophezeiung unter dem Namen Dandrono. Der Herr der Slissaks. Er ist es, der die Geschichte der Menschheit verändert hat. Genau dort.«
    ***
    »Das war der Anfang, sofern es in diesem Chaos überhaupt einen Anfang gab«, beendete Aldebar auf dem Dach des Staatstheaters im Mainz einer anderen Zukunft die Ausführungen. Der Zeitreisende Zamorra lauschte gebannt, während der greise Alte sprach. »Das Böse in Gestalt des Dämons bemächtigte sich Gutenbergs und dessen Erfindung und nutzte ihre historische Bedeutung für seine eigenen Zwecke. Anstatt den Geist und die Botschaft der Aufklärung hinaus in die Welt zu tragen, standen Gutenbergs Name und Bedeutung nunmehr dafür, dem Wechsel der Welten den Weg zu bereiten. Grauen und Wahnsinn waren die Inhalte und der Ursprung der Schriften, die Gutenberg in dieser Version der menschlichen Geschichte druckte. Und sie lösten den Stellenwert ab, den Gutenberg eigentlich in der Historie haben sollte. Aus dem - vielleicht unfreiwilligen - Wegbereiter der Aufklärung und des Schriftzeitalters wurde sozusagen ein menschliches Monster. Die von ihm verbreiteten Texte waren wie ein Fieber, das sich in den Hirnen der Menschen festsetzte und sie dazu brachte, die Wesen aus der anderen Welt willkommen zu heißen. Gehirnwäsche, sozusagen.«
    »Aber wenn die Vergangenheit verändert wurde«, hakte Zamorra nach, »wie kann es dann noch die Gegenwart geben, aus der ich stamme? Wie kommt es, dass Sie und ich uns noch an eine Geschichtsschreibung erinnern, in der die Dinge anders liefen, als Sie sie mir schildern?«
    Aldebar lachte. »Weil beide Versionen echt sind, gewissermaßen. Zumindest noch so lange, bis die Zeit sich vollends der Veränderung angepasst hat, die man ihr angetan hat. Nehmen Sie nur einmal das 2009, an das Sie sich erinnern. Ist Ihnen da vielleicht ein… nennen wir es: heller Lichtblitz aufgefallen? Ein Strahl aus Energie, der Menschen und Objekte, die in einem Moment noch existierten, buchstäblich aus der Welt entfernte, als hätte es sie nie gegeben?«
    Verblüfft nickte der Professor. Wieder einmal schossen ihm die Bilder von Williams tragischem Ende durch den Kopf.
    »Diese Dinge wurden nicht zerstört, falls Sie das glauben sollten«, fuhr Aldebar fort. »Sie wurden aus der Zeit gelöscht - und zwar von der Zeit selbst. Was dort geschah, war gewissermaßen der Versuch der Zeit, sich den neuen Begebenheiten anzupassen, wie sie durch die Veränderung der Geschichte aktuell wurden.«
    Auf ein Zeichen des Alten eilten zwei Männer herbei und stellten eine gläserne und zur Hälfte mit Wasser gefüllte Schüssel auf den Tisch, an welchem Zamorra und sein Begleiter saßen. Aldebar griff abermals in seine Manteltasche und entnahm ihr einen etwa kastaniengroßen Stein, den er, den rechten Arm waagerecht ausgestreckt, über die Wasseroberfläche hielt. »Lassen Sie es mich ein letztes Mal verdeutlichen, Monsieur Zamorra. Dies«, er nickte auf die Schüssel, »ist die Zeit.«
    Und dann ließ er den Stein los. Mit einem leisen Platschen brach er durch die Oberfläche und sank auf den Boden des Gefäßes. » Das war die Veränderung. Die Schüssel ist gewissermaßen nicht mehr die gleiche, weil ich ihren Inhalt verändert habe. Allerdings dauert es einen Moment, bis das ganze Wasser das mitbekommen hat. Ich habe eine Stelle der Wasseroberfläche, unserer Zeit, verändert - und nun schauen Sie, was passiert: Von dieser Stelle aus ziehen kleine Wellen über die gesamte Fläche. Wie Herolde, die eine Kunde in die Ferne tragen.«
    »Sie meinen, die Blitze sind wie die Wellen?«
    »Genau das.« Aldebar nickte zufrieden. »Aus Gründen, über die selbst ich nicht einmal spekulieren könnte, verändert sich die Zeit seit dem Eingriff des Dunklen Wesens nicht chronologisch, sondern in Schüben. Schübe, die von den Lichtblitzen, welche ich übrigens Zeitbeben nenne, umgesetzt werden. Wie die Wellen über die Wasseroberfläche eilen, jagen die Blitze durch die Zeit. Sie verändern, sie korrigieren die jeweilige Gegenwart. Zeitbeben. Und alles, was sie berühren, wird so, wie es durch die Veränderung der Geschichte eigentlich sein soll.«
    ***
    Professor Zamorra stand am Fenster der verlassenen Gaststätte und schaute hinaus auf die Stadt, welche im Licht des Mondes vor ihm lag. Auf die überwucherten Ruinen und Autos. Die End-Welt, in
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