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0906 - Das Vermächtnis der Hexe

0906 - Das Vermächtnis der Hexe

Titel: 0906 - Das Vermächtnis der Hexe
Autoren: Oliver Fröhlich
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war nur ein Fast-Alleskönner.
    Man konnte es beispielsweise nicht rufen , so wie Zamorra es mit seinem Amulett konnte! Aber genau diese Funktion wäre jetzt äußerst nützlich gewesen. Das Handy lag nämlich im Château Montagne auf Rhetts Schreibtisch! Er hatte es absichtlich nicht ins Gewühl des Karnevalsmarktes mitgenommen, denn nach so einem Gerät würde sich jeder Dieb seine zehn Langfinger lecken. Außerdem, warum hätte er es mitnehmen sollen? Schließlich war er mit seiner Mutter und Professor Zamorra unterwegs gewesen!
    Er sah sich um. Vielleicht fand er irgendwo eine Telefonzelle! Dann könnte er seine Mutter anrufen und sie bitten, ihn in Neufeld abzuholen. Möglicherweise wusste wenigstens sie, wo dieses Kaff war. Oder der Professor. Der war schon weit genug in der Welt herumgekommen.
    Apropos Kaff: Bereits vorhin war Rhett aufgefallen, dass es außer der Beleuchtung des Bahnhofs stockfinster war. Doch erst jetzt wurde ihm die Bedeutung dieser Beobachtung klar.
    Neufeld konnte zwar voller Stolz einen Bahnhof sein Eigen nennen, das war es dann aber auch schon. Von einer Stadt, von Häusern, von Straßenbeleuchtung war nichts zu sehen. Auch zu hören war nichts! Keine vereinzelten Motorengeräusche, bellende Hunde, Sirenen oder was man sonst in einer Stadt nachts alles hören konnte. Stattdessen umgab ihn Grabesstille.
    Doch halt! Das war nicht ganz richtig!
    Da gab es doch einen Geräuschteppich, der so gleichmäßig war, dass er ihn gar nicht bewusst wahrgenommen hatte. Was war das? Es klang wie Stimmengemurmel. Unverständliches, andauerndes, leises Gebrabbel.
    Rhett hielt den Kopf schief, versuchte die Quelle des Geräuschs zu orten, aber es gelang ihm nicht. Er drehte sich etwas nach links, dann etwas nach rechts, nach hinten, nach vorne. Das Gemurmel kam aus allen Richtungen gleichzeitig.
    Wie war das möglich?
    Und plötzlich hörte er eine dröhnende Männerstimme. Von allen Seiten stürzte sie auf Rhett ein wie ein brüllendes Inferno: »Jetzt sind alle beisammen!«
    Rhett riss den Kopf hoch, wollte schreien, wollte fragen, wer da sei, doch er kam nicht mehr dazu.
    Über ihm flammte eine Sonne auf und zerrte den Neufelder Bahnhof und alles, was ihn umgab, aus der Finsternis. Tausende greller, glühender Nadeln malträtierten Rhetts Augen.
    Er schlug die Hände vors Gesicht und sank mit einem dumpfen Stöhnen auf die Knie.
    Als er die Stimme erneut hörte, verkrampfte sich sein Magen und ihm wurde kotzübel.
    »Hol sie dir! Nimm dir ihre Seelen und ihr Fleisch, und dann komm zurück zu mir!«
    ***
    17.02.1809
    Henriette zuckte zusammen, als sie von oben das blecherne Glink der Ladentürglocke hörte.
    Kundschaft! Ausgerechnet jetzt!
    Sie ließ die Hand des Jungen los, doch selbst als seine Finger auf den Steinboden schlugen, wachte er nicht auf.
    So flink es ihre alten, schmerzenden Beine zuließen, eilte sie die Kellertreppe hoch.
    Es wurde Zeit, dass sie ihr Festmahl abhielt, denn dann würde das Ziehen und Reißen in ihren brüchigen Knochen und schlaffen Muskeln endlich aufhören. Selbst wenn es nur für ein paar Monate war! Wenn es dann wieder losging, würde sie sich eben das nächste Kind suchen.
    »Ich bin schon unterwegs«, flötete sie nach oben. Nicht, dass ihre Kundschaft noch herunter kam und ihr kleines Geheimnis entdeckte!
    Wenige Sekunden später hatte sie den Ladenraum erreicht und schloss die Kellertür hinter sich.
    »Da bin ich auch schon!«
    Auf der anderen Seite des Tresens standen zwei etwa zwanzigjährige Männer und musterten sie aus zusammengekniffenen Augen. Sie waren in schwere Wollmäntel gehüllt, auf deren Schultern noch Schnee lag. Beide hatten eine große Nase mit einem auffälligen Höcker. Auch sonst sahen sie sich sehr ähnlich. Vermutlich waren sie verwandt. Brüder vielleicht oder Vettern.
    »Womit kann ich dienen?«
    Henriette setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. Sie brauchte dabei nur an ihre bevorstehende Verjüngungskur zu denken, dann fiel ihr das gar nicht schwer.
    Die Männer erwiderten das Lächeln nicht. Der linke öffnete den Mantel, griff hinein, holte einen Zinnsoldaten heraus und stellte ihn auf den Tresen.
    Henriette warf einen kurzen Blick auf das Spielzeug. Die Figur trug einen Dreispitz und hatte einen Karabiner mit abgebrochenem Bajonett geschultert. Das Metall war abgegriffen. Der Soldat hatte wohl schon einige schwere Schlachten hinter sich.
    Henriette mischte ihrem Lächeln eine Spur Bedauern bei.
    »Oh, das tut mir leid«, sagte sie.
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