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0906 - Das Vermächtnis der Hexe

0906 - Das Vermächtnis der Hexe

Titel: 0906 - Das Vermächtnis der Hexe
Autoren: Oliver Fröhlich
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sich daran gewöhnt.
    Und der Junge würde ihn nicht mehr lange ertragen müssen!
    Im hintersten Eck des Kellers stand ein kleiner Käfig. An dessen Gitterstäben hatte sie stilisierte Puppen aus Holzstöckchen befestigt, denen zwar keinerlei magische Kräfte innewohnten, die aber Henriettes Eigentum am Käfig und dessen Inhalt symbolisieren sollten. Auch wenn hier niemand war, der ihr den Besitz hätte streitig machen wollen, sagten die Zeichen jedem, der sie zu lesen verstand: »Finger weg von meinen Sachen!«
    Im Käfig lag ein Junge auf seinem Strohlager, zusammengerollt wie ein Hundebaby. Auf dem Boden vor den Gitterstäben stand ein Tablett. Der Wasserkrug war fast leer, der Becher mit der Ziegenmilch ebenfalls. Aber den Apfel, den Kuchen und das frische Brot mit geräuchertem Schinken hatte der Junge nicht angerührt.
    Henriette blieb vor dem Käfig stehen und seufzte erneut.
    Einige Sekunden starrte sie den Jungen an. Seine Augen waren geschlossen. Die gleichmäßigen Atemzüge verrieten ihr, dass er schlief. Schon wieder. Oder immer noch. Wer wusste das schon genau? Beide Hände hatte er unter die linke Wange geschoben und benutzte sie als Kopfkissen.
    »Ach, mein liebes Kind. Warum isst du nur so wenig? Du musst doch wieder zu Kräften kommen!«
    Sie griff in den Käfig und zog behutsam eine Hand des Jungen unter dem Gesicht hervor. Er stöhnte leise und murmelte ein paar unverständliche Laute, wachte aber nicht auf.
    Henriette strich über das Gesicht des Jungen, zeichnete mit dem Finger die Spuren nach, die die Tränen in den Schmutz seiner Wangen gewaschen hatten, und lächelte ihn an. Dann fühlte sie nach seinem Handgelenk und den Fingern.
    »Was bist du nur mager! Aber das werden wir ändern. Ganz gewiss werden wir das ändern. Wenn nötig, werde ich dir das Essen eigenhändig in den Rachen stopfen!«
    Ja, Henriette mochte Kinder.
    Vor allem, wenn sie schön fett und knusprig gebraten waren.
    ***
    Gegenwart
    Rhett schlug die Augen auf. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er war.
    Im zweiten Moment erkannte er, dass er im Abteil eines fahrenden Zuges saß. Er musste eingeschlafen sein, als er…
    Als er was?
    Rhett schoss von der Sitzbank hoch.
    Im dritten Augenblick wusste er, wo er sich befand, hatte aber nicht den Hauch einer Ahnung, wie er hierher gekommen war.
    Er sah aus dem Fenster. Draußen herrschte stockfinstere Nacht. Schemenhaft konnte er ein paar Büsche und Bäume erkennen, die vorbeihuschten. Das war aber auch schon alles. Keine Lichter einer Stadt, keine Autoscheinwerfer, nichts!
    Er musste auf einer Überlandfahrt sein.
    Mitten in der Nacht!
    Und ganz alleine. Weder seine Mutter, Lady Patricia, noch Butler William waren bei ihm. Ganz zu schweigen von Nicole Duval oder Professor Zamorra. Waren sie vielleicht in einem anderen Abteil?
    »Mutter? Nicole?«
    Als seine Stimme verhallt war, wurde es wieder still im Zug. Nur die Fahrgeräusche waren zu hören.
    Rhett schüttelte den Kopf und sah an sich herab. Er trug einen roten Anorak, Handschuhe und feste, gefütterte Lederstiefel.
    Das brachte ihn auch nicht weiter. Großartig! Er sah aus, als wolle er einen Winterspaziergang machen, stattdessen saß er allein in einem Zug. Aber warum?
    Er runzelte die Stirn und betrat den Mittelgang zwischen den Sitzbänken. Sein Blick huschte einmal durch den ganzen Wagen. Niemand zu sehen. Langsam ging er auf die Glastür zu, die den Waggon vom nächsten trennte.
    Er sah auf jeder einzelnen Sitzbank nach, ob nicht vielleicht doch ein Passagier darauf lag und schlief, sodass er ihn bisher nur nicht hatte entdecken können. Aber da war niemand.
    »Krass!«, hauchte er. »Und was jetzt?«
    Als er den Waggon durchquert hatte, drückte er mit der flachen Hand die Glastür auf und betrat das nächste Abteil. Auch das war menschenleer.
    Vielleicht konnte er ja weiter vorne einen Schaffner finden. Selbst wenn er nicht wusste, was er ihm erzählen sollte, könnte der ihm wenigstens verraten, wohin die Reise ging.
    Aber auch von einem Schaffner war nichts zu entdecken.
    Das konnte es doch gar nicht geben! Irgendwer musste doch in diesem Zug sein!
    Er durchsuchte alle Waggons, sah sogar unter den Sitzbänken nach. Vergeblich.
    Er war mutterseelenallein!
    Hey, Moment mal! Die Toiletten! Sicher ist der Schaffner nur kurz auf dem Klo.
    Doch als er vor einer der WC-Türen stand und sie öffnen wollte, erlebte er die nächste unangenehme Überraschung: Die Tür war eine Attrappe!
    Der Griff war unbeweglich. Die Fuge
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