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0906 - Das Vermächtnis der Hexe

0906 - Das Vermächtnis der Hexe

Titel: 0906 - Das Vermächtnis der Hexe
Autoren: Oliver Fröhlich
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»Wir kaufen keine gebrauchte Ware!«
    »Wir wollen die Figur auch nicht verkaufen«, sagte der Linke. Seine Stimme klang weich und melodisch. »Erklär du es ihr, Jakob!«
    »Wir suchen etwas, das zu dem Soldaten passt«, sagte der rechte Mann namens Jakob.
    »Ach so! Nun, da kann ich den Herren einige sehr schöne Stücke zeigen. Erst letzte Woche hat mein Bruder ein paar besonders gelungene…«
    »Sie versteht es immer noch nicht, Wilhelm!«, sagte Jakob.
    »Nein, sie versteht es in der Tat noch nicht«, erwiderte Wilhelm. »Oder sie will es nicht verstehen!« Er griff noch einmal in seinen Mantel und holte diesmal einen Holzstab hervor, dessen eines Ende rot angestrichen war.
    »Vielleicht begreift Ihr besser, wenn ich Euch das hier zeige!«
    Er legte den Stab so auf den Tresen, dass das rote Ende auf Jakob zeigte. Doch kaum hatte er das Holz losgelassen, drehte sich der Stab wie eine Kompassnadel zur Kellertür hin.
    »Oh!«, sagte Henriette. »Das ist hübsch. Was für eine Art Spielzeug ist das denn?«
    Wilhelm gab ihr keine Antwort. Stattdessen sagte er: »Dieser Zinnsoldat gehörte einem kleinen Jungen. Sein Name ist Johannes. Es ist sein einziges Spielzeug!«
    Als Henriette das hörte, wurde ihr die Kehle eng. Da sie sich noch nie für den Namen ihrer nächsten Mahlzeit interessiert hatte, wusste sie nicht, wie der Junge in ihrem Keller hieß. Aber sie fürchtete das Schlimmste.
    »Er wird seit einigen Tagen vermisst«, fuhr Wilhelm fort.
    »Oh, das ist ja schrecklich!« Wie kamen diese beiden nur darauf, dass der Junge ausgerechnet bei ihr sein könnte?
    »Seine Eltern baten uns, nach ihm zu suchen«, ergänzte Jakob.
    Henriette schluckte. »Und wie kann ich da behilflich sein?«
    »Ach, das ist ganz einfach! Ihr braucht nur zur Seite zu gehen und uns den Weg zu dem Jungen freizugeben!«
    Henriette schnappte nach Luft. »Das muss ein Scherz sein!«
    »Nein, keineswegs. Der Spielzeugsoldat und der Blutkompass haben uns nach Tagen der Suche hierher geführt. Es besteht kein Zweifel.«
    »Aber…«
    »Ihr braucht es nicht zu leugnen. Wir wissen alles! Wir wissen, dass Johannes hinter dieser Tür ist, und wir wissen, dass Ihr eine Hexe seid.«
    Henriettes Gesicht lief rot an. Mit der Faust schlug sie auf den Tresen. Eine Schmerzlawine löste sich von ihren Gelenken und überrollte den gesamten Körper. Doch sie ließ sich nichts anmerken. »Jetzt reicht es aber! Wie kommt Ihr dazu, so etwas zu behaupten?«
    Nun griff Wilhelm in die Manteltasche.
    »Wir haben hier ein noch viel schöneres Spielzeug«, erklärte er. »Es wird Euch gefallen. Es ist ein Hexenlicht!«
    Er legte eine hell strahlende Glaslinse auf den Tresen.
    Mit einem Mal verstärkte sich der Schmerz und ein wahres Flammenmeer loderte durch Henriettes Körper. Sie glaubte, ihre gichtigen Gelenke würde explodieren, ihre spröden Knochen bersten.
    »Die Wirkung des Hexenlichts brauche ich Euch nicht zu erklären. Ihr spürt sie gerade am eigenen Leib«, fuhr Wilhelm im Plauderton fort. »Wäret Ihr keine Hexe, so wäre die Linse von milchiger Trübheit. So aber bannt sie Euch…«
    »Rkalyt vorunik kt'arlakon«, begann Henriette zu murmeln.
    »… und schützt uns vor Euren bösen Zaubern. Gebt Euch keine Mühe! Ihr braucht gar nicht erst zu versuchen, Eure magischen Kräfte gegen uns einzusetzen.«
    Doch Henriette murmelte weiter. Ihre Lippen waren pelzig, die Zunge fühlte sich an wie ein aufgeplatzter Tannenzapfen.
    »Zurät yb loglyk mes regayn'orta«, krächzte sie.
    Wilhelm grinste Jakob an. »Sie will mir nicht glauben, wie es scheint.«
    Auch Jakob lächelte. »Spar dir deinen Atem, Hexe! Spar ihn dir für deinen Todesschrei!«
    Henriettes Augen weiteten sich bei diesen Worten. Die Hexenjäger wollten sie tatsächlich töten! Sollte ihr Weg hier enden? Nach so vielen Jahren?
    Sie hörte nicht auf, den Zauber vor sich hin zu murmeln. Sie stockte nicht, als Jakob und Wilhelm die Hände auf das Hexenlicht legten. Sie stockte auch nicht, als die beiden Männer nun ihrerseits begannen, einen Zauber zu weben. Ihre Stimmen klangen jedoch wesentlich kräftiger als Henriettes.
    Sie stockte auch nicht, als das Strahlen der Linse zu einem pulsierenden, grellen Licht wurde, so hell, dass sie die Adern und Knochen in den Händen der Männer sehen konnte.
    Henriettes Blick glitt in die Ferne. Sie konnte sich nicht länger auf die Hexenjäger konzentrieren. Immer, wenn sie es versuchte, entglitten sie ihr wie glitschige Fische. Ihre Körper begannen in
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