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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars
Autoren: Simon Borner
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Sonne zu sitzen und den Wind auf der Haut zu spüren. Nicole griff in ihre Tasche und entnahm ihr McArdbegs Reisebericht. Welchen besseren Ort konnte es für diese Lektüre schon geben? Sie trank einen weiteren Schluck aus der Dose und begann in Connor McArdbegs Tagebuch zu lesen.
    ***
    Der nächste Morgen kam so plötzlich wie die Nacht, ohne Dämmerung, wie es in den Tropen und besonders so nahe am Äquator nun einmal geschieht. Dennoch ist dieses Erlebnis für einen Schotten wie mich immer noch ein Erlebnis und verwundert mich immer wieder aufs Neue. Aber an diesem Morgen war uns das egal, Forscherdrang beseelte Haberland und mich. Hastig packten wir unsere wichtigsten Ausrüstungsgegenstände zur Erforschung der Ruinen zusammen, Haberland seine Farben, Stifte und Botanisier trommeln, ich das Astrolabium, archäologische Utensilien und die notwendigen Gerätschaften, um Vermessungen vornehmen zu können. Wir wiesen drei unserer Indios an, im Lager Wache zu halten. Besonders in Honduras treiben Jaguare und wilde Hunde ihr Unwesen, und ich wollte abends nicht in ein verwüstetes Lager zurückkehren müssen. Haberland konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die drei Zurückgelassenen erleichtert waren. Aber ich schrieb dies Haberlands ein wenig zu weichem, Wesen zu. Mit den Eingeborenen kann er deshalb nicht sehr gut umgehen.
    Fritz und ich verbrachten die nächsten Tage sehr angenehm, mit der Erforschung der Ruinen dieser alten Kultstätte, und wir entdeckten sagenhafte Zeugnisse der Mayakultur. Zu Zeiten sahen wir das eine oder andere Raubtier, wilde Hunde und ein oder zwei Mal auch einen Jaguar, hinter Ruinenmauern verschwinden. Wir freuten uns, von ihnen weitgehend in Ruhe gelassen zu werden. Ebenso die Indios: Sie waren zwar sichtbar unruhig, hielten sich mit Kommentaren aber zurück. Wahrscheinlich hatten wir das Pedro zu verdanken. Die Ruhe, die entstand, war wunderbar; wir vermaßen die ganze Stadt, respektive was davon übrig war; und während Haberland einige wunderbare Aquarelle anfertigte, konnte ich sehr imposante Abdrücke der Reliefs am ehemaligen Ballspielplatz anfertigen, der wunderbarerweise nicht vom Dschungel überwuchert und pflanzenfrei war. Besonders schön gelang dabei das Bild eines Papageienvogels, das als Relief am alten Ballspielplatz in die Mauer gegraben war. Dass es sich um einen Ballspielplatz handelte, konnte man sehr schön an den Reliefs erkennen, die den Platz einrahmten, der in der Größe etwa einem Rugbyfeld entsprach.
    Überhaupt waren die Wände in Copán allenthalben mit Zeichnungen und einer Art Bildzeichen bedeckt, Hieroglyphen, ähnlich den ägyptischen. Die Vermutung, sie könnten ein Alphabet wie das unsere darstellen, wie es der tschechische Amerikareisende Graf Waldeck für wahrscheinlich hält, erachtete ich von Anfang an als unrichtig. Dazu sind es schlicht zu viele, daher nehme ich eher an, es handelt sich um eine Bilderschrift ähnlich den Schrift zeichen, wie sie die chinesischen Mandarine oder die ägyptischen Pharaonen verwendet haben. Was uns ebenfalls auffiel, war die genaue Ausrichtung der meisten Gebäude nach den Himmelsrichtungen - die meisten lagen auf einer strikten Nord-Süd-Achse.
    Nach ungefähr einer Woche beschlossen Haberland und ich, den zentralen Tempel einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Seine Form weckte unser besonderes Interesse, und so hatten wir ihn uns als guten Bissen bis zuletzt aufgehoben.
    Ich muss die Form des Tempels beschreiben, bevor ich in meinem Bericht fortfahre. Ihn eine Pyramide zu nennen, ist nur halb richtig und weckt falsche Assoziationen mit denen bei Gizeh in Ägyten. Eher erinnerte uns das Gebäude an die Ziggurate im mittleren Osten, rund um die alte Kalifenstadt Bagdad. Es war genau nach den Himmelsrichtungen orientiert, und Haberland fragte sich, ob nicht das Gebäude auf der Pyramide, der eigentliche Tempel, zur Sternenbeobachtung gedient haben könnte. Eine durchaus logische Überlegung. Unsere Absicht war, dieser These nachzugehen. Beim Ersteigen der Treppe zum oberen Tempelgebäude zählten Haberland und ich genau 365 Stufen, jede reich verziert mit Hieroglyphen und Gegenständen, die offenbar unterschiedlichen Jahreszeiten zugeordnet werden konnten. Für uns war klar: ein Kalender. Es erstaunte uns sehr, dass die Mayas bereits berechnet haben sollten, dass das Jahr 365 Tage hat, aber offenbar werden wir unsere Meinung von einer rückständigen Kultur zumindest in dieser Hinsicht revidieren
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