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0866 - Rattennacht

0866 - Rattennacht

Titel: 0866 - Rattennacht
Autoren: Jason Dark
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gar keine Angst vor ihm und seinen vierbeinigen Freunden gezeigt. Im Gegenteil, sie hatten es auch geschafft, ihn in seine Schranken zu weisen.
    Es war ihnen gelungen, ihn in die Flucht zu schlagen. Sie hatten Macht über ihn besessen.
    Er dachte nach, er grübelte, und er kam zu dem Entschluß, daß diese beiden womöglich mehr über ihn wußten, ohne daß er es ahnte oder sie selbst es wußten.
    Plötzlich wußte er, was er tun würde. Er mußte sie finden, und dann würde er ihnen die entsprechenden Fragen stellen. Und er würde Antworten bekommen, davon ging er aus. Es würde ihnen nichts, aber auch gar nichts nutzen, wenn sie sich sträubten. Er würde sie zwingen, die Karten offen auf den Tisch zu legen.
    Jetzt ging es ihm besser.
    Seine Augen schienen zu leuchten. Es war das gute Gefühl, das ihn in den Klauen hielt. Er wußte jetzt, wie es weiterging. Er würde nicht mehr dahinsiechen, denn nun verfügte er über einen Plan, einen sehr guten sogar.
    Um seine Füße herum wuselten die Vierbeiner. Auch die letzte Ratte hatte seinen Körper verlassen.
    Er blickte auf ihre pelzigen Rücken, beobachtete seine Freunde eine Weile und stellte fest, daß ihr Verhalten ihm gar nicht gefiel.
    Sie waren von der gleichen Unruhe erfüllt, die er vor kurzem ebenfalls verspürt hatte.
    Das mußte einen Grund haben, und dieser Grund bedeutete im allgemeinen eine Veränderung. Wo?
    In seiner Nähe? Absalom spannte sich. Die Haut auf seinem Rücken war straff geworden. Er war der Pfeil, der auf der Sehne lag, aber noch nicht abgeschossen wurde.
    Warten…
    Die Ratten konnten sich nicht beruhigen. Sie kratzten, sie sprangen, sie bissen sich gegenseitig, sie fiepten, und es hörte sich an, als würden die Kreaturen gequält.
    Seelische Qual?
    Auch er spürte sie!
    Urplötzlich erwischte ihn ein Schwächeanfall. Sein eigenes Körpergewicht war zu schwer für ihn.
    Die Knie wollten ihn nicht mehr tragen. Er sackte zusammen und war froh, sich auf dem kantigen Grabstein setzen zu können. Vor seinen Augen entstand ein Schleier. Absalom wußte, daß genau das nach ihm griff, was er nicht erklären konnte. Seine Vergangenheit, seine Leere, die trotzdem, so unlogisch es auch klang, eine Existenz besaß. Er kam sich vor wie jemand, der kurz vor dem Ende steht, und zu seinen Füßen gerieten die Ratten allmählich außer Kontrolle, denn sie begannen damit, sich gegenseitig zu zerfleischen und zu fressen…
    ***
    Wir hatten das Ziel erreicht, aber wir hüteten uns davor, aus der Deckung zu kommen.
    Zum ersten Mal hatte auch ich diesen geheimnisvollen Rattenfänger Absalom gesehen. Er war mir vorgekommen wie ein Friedhofs-Gespenst. Das mochte an seinem langen Mantel liegen, dessen Saum über seinen Füßen schwang.
    Ich hatte auch einen kurzen Blick in sein Gesicht werfen können. Die Augen waren mir dabei sofort aufgefallen.
    Kalte Diamanten von einem dunklen Gletscherblau. Grausam, ohne Gefühl, wie feingeschliffenes Glas, das jemand in die Rinde eines Baumes hineingepreßt hatte.
    Ungewöhnliche Augen.
    Menschliche?
    Ich dachte nicht weiter darüber nach, denn das Verhalten dieses Mannes interessierte mich ebenfalls. Es war auf keinen Fall mit dem eines Siegers zu vergleichen. Sieger benahmen sich anders. Sie konnten auch ihren Triumph stumm hinausschreien. Dieser Mensch aber benahm sich anders. Er wirkte auf mich wie ein großer Zweifler, der mit seinen Sorgen überhaupt nicht zurechtkam.
    Er war am Ende, er streichelte zwar seine Ratten, doch es war genau zu sehen, daß er mit seinen Gedanken nicht so recht bei der Sache war. Irgend etwas mußte ihn unheimlich stark beschäftigen.
    Er stand plötzlich auf.
    Wie altes Blattwerk rutschten die pelzigen Nager an seinem Mantel nach unten, landeten auf dem Boden, wo sie sich überrollten und plötzlich aggressiv wurden.
    Sie griffen- sich gegenseitig an und schlugen um sich.
    Sie hackten ihre Krallen in die Leiber der anderen. Sie öffneten ihre Mäuler. Sie sprangen sich an.
    Spitze Zähne hackten wie Messer ins Fell und Fleisch, rissen brutal daran, zerrten die kleinen Lappen weg und hinterließen blutende Wunden.
    Da kam einiges zusammen, das ich nicht verstand. Ich schaute nach links, wo Shao und Suko dicht beisammen geduckt auf dem Boden hockten.
    Auch sie schauten fasziniert zu. Wurden abgelenkt, als sie mein leises Räuspern hörten. Suko tippte Shao kurz an, bevor er sich streckte und zu mir kroch.
    »Verstehst du es?« Er bewegte nur den Mund. Die Frage mußte ich erraten.
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