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0858 - Missgeburt

0858 - Missgeburt

Titel: 0858 - Missgeburt
Autoren: Christian Montillon
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Hunger der Alten zu besänftigen.
    Man redete nicht über diese Schattenseite des ewigen Lebens; jedem war klar, das dieser Preis bezahlt werden musste. Denn jedes einzelne dieser Ekel erregenden Wesen in der Tiefe war einst für Jahrtausende ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft gewesen, hatte wie Lhitt'har eine Aufgabe von großer Tragweite erfüllt. Nun hieß es, ihnen zu danken.
    Lhitt'har graute davor, selbst eines Tages in die Tiefe hinabzusteigen und nur noch in Schwärze und Feuchtigkeit existieren zu können. Er wusste, er würde nichts mehr spüren, nichts mehr fühlen außer tierischen Bedürfnissen und Instinkten, weil zu diesem Zeitpunkt sein Geist längst vor der Unfassbarkeit der langen Lebensspanne kapituliert hatte.
    Aber was brachte dieses Wissen schon? Es vermochte nicht zu trösten.
    Genauso wie die bevorstehende Vollendung seiner großen Aufgabe ihn nicht zufrieden stellen konnte. All die Zeit, die er investiert hatte, all die Jahrhunderte, die er in Suche und Studium verbracht hatte, um genau an diesen Punkt zu kommen… wenn das magische Experiment nicht gelang, waren sie verloren.
    All die Zeit…
    »Hoffnung! Ich bin voller Hoffnung, dass ich es vollbringen kann!«, schreit Lhitt'har.
    Er muss schreien, um das unablässige Gemurmel der Kinder zu übertönen. Er kennt die Zahl der Besucher aus der vorangegangenen Anmeldung; dreiunddreißig Jungen und vierundfünfzig Mädchen. Wenn er das nicht genau wüsste, hätte er angenommen, es seien zehn Mal so viele. Sie plappern, zappeln und wuseln umher.
    Das reinste Chaos.
    Deswegen hasst Lhitt'har die Tage, in denen Kinder an die Ausgrabungsstätte kommen. Die drei Jahre, die jeweils dazwischenliegen, scheinen wie im Flug zu vergehen, während sich die wenigen Stunden ihrer Anwesenheit wie Monate anfühlen.
    Aber er sieht die Notwendigkeit solcher Termine ein. Man muss die Kinder an der großen Aufgabe teilhaben lassen. Es ist wichtig, dass sie erfahren, worum es geht. Vielleicht zieht er einige von ihnen später als Hilfskräfte heran. Wer weiß… sie werden erwachsen und alt werden, werden Hinfälligkeit erleben und sterben, ehe Lhitt'har am Ende seiner Bemühungen anlangt.
    Ihr kleiner Geist ist nicht fähig zu begreifen, wie wichtig die Aufgabe ist.
    »Ja und?«, fragt ein Mädchen. Es hat weißblonde Haare, die seitlich über den Ohren zu zwei Zöpfen gebunden sind. Der Blick der dunkelbraunen Augen huscht über den mächtigen Schädelknochen, der vor fast einhundert Tagen entdeckt worden ist. »Warum tust du es? Warum bastelst du das Skelett einer schrecklichen Echse zusammen?«
    Die Worte versetzen dem TJntoten einen Stich . Schreckliche Echse. So nannten es die Kinder. Das war absolut unzutreffend.
    Der Gestalt nach waren die Großen Kreaturen der Vergangenheit zwar Echsen, aber zweifellos mit großer Intelligenz gesegnet gewesen. Doch darauf kommt es ihm nicht einmal an. »Wieso glaubst du, dass sie schrecklich waren?«, fragt er zurück.
    Das Mädchen kichert. »Guck doch, wie groß sie waren. Und was für dicke Zähne die hatten.« Ein Junge packt es von hinten mit beiden Händen und stößt ein tiefes Grollen aus. Das Mädchen kreischt, was bei vielen Heiterkeit auslöst.
    Lhitt'har ärgert sich über die Zeitverschwendung.
    »Das ist kein Spaß, Kinder!«, meldet sich der Aufseher zu Wort. »Hört euch an, was der weise Lhitt'har zu sagen hat und seid dankbar dafür, dass er sich dazu herablässt, sich euch zu widmen.«
    Betretenes Schweigen breitet sich aus. Die Kinder trippeln von einem Bein aufs andere, ziehen schmollende Gesichter oder murmeln Entschuldigungen.
    Lhitt'har achtet nicht darauf und beginnt seine Erklärung, wie er sie schon Dutzende Male vorgebracht hat.
    »Nach heutigem Wissensstand gehen wir davon aus, dass die Großen Kreaturen der Vergangenheit sehr intelligent waren. Sie beherrschten einst unsere Welt. Unter ihnen erlebte Brakila seine erste Blüte. Sie verwalteten den Planeten und seine Rohstoffe mit großer Weisheit. Warum sie ausstarben, wissen wir nicht, ebenso wenig, warum statt ihrer wir Intelligenz entwickelten und zu den Beherrschern der Welt wurden. Ich trage die Knochen dieses erhabenen Wesens nur aus einem einzigen Grund zusammen. Wenn das Skelett vollständig ist, werde ich es mit Magie zum Leben erwecken. Die Kreatur wird sich erheben und uns einen Bericht aus der Vergangenheit geben, der viele ungelöste Fragen klärt. Wir werden unsere Wurzeln entdecken und verstehen und somit zu wahrer Stärke
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