Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
083 - Das Ende der Unschuld

083 - Das Ende der Unschuld

Titel: 083 - Das Ende der Unschuld
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
weiß es nicht«, antwortete der Älteste der Seher.
    ***
    Die Sonne löste sich vom Horizont, eine wabernde Glutscheibe hinter Dunstschleiern. Welch ein Schauspiel! Dave McKenzie schirmte die Augen mit der Hand ab.
    Ein paar graue Schlieren und ein schmaler schwarzer Wolkenkamm durchzogen die rote Scheibe. Es war, als würde man von oben in einen riesigen Topf geschmolzenen Metalls schauen, über dem der Dampf sich kräuselte und in den eine Rabenfeder gefallen war.
    Dave hockte auf einem Wall ineinander verkeilter Trümmerstücke jener kristallinen Substanz, die der Anlass für seine Reise hierher an den Arsch der Welt gewesen war. Oder halt! Stimmte nicht ganz - für Matthew Drax waren die Kristalle der Anlass für diese nervenaufreibende Expedition gewesen; und für Mr. Black und seine Crew natürlich.
    Sicher: Auch er, Professor Doktor Dave McKenzie, brannte darauf, dem Geheimnis des Kometen auf die Spur zu kommen.
    Doch in erster Linie hatte ihn Matts Botschaft hierher geführt, ein Hilferuf geradezu. Er hätte nicht Dave McKenzie geheißen, wenn er Herz und Ohren vor dem Hilferuf eines ehemaligen Vorgesetzten und guten Freundes verschlossen hätte.
    Also hieß es für ihn »Bye, bye, London! Bye, bye, lovely Queen Victoria!« Leicht war ihm der Abschied nicht gefallen, ganz gewiss nicht. Immerhin ging es recht komfortabel zu im Bunker der Community London. Luxuriös sogar unter dem Strich; gemessen an den bescheidenen bis schauerlichen Verhältnissen jedenfalls, die ihm vor und nach der Zeit in der Community London das Leben zur Hölle gemacht hatten.
    Ja, zur Hölle. So würde Dave es auch formulieren, sollte er je dazu kommen, seine Memoiren zu schreiben. Die Monate in London, in der Gesellschaft jener schillernden Queen waren dagegen geradezu ein Kuraufenthalt gewesen.
    »Allerdings«, murmelte er, »so ein Sonnenaufgang hier am Arsch der Welt ist nicht zu verachten. Was meinst du, Mickey?« Er sprach mit seinem großen Bruder. Das tat Dave oft. Meist in Gedanken, manchmal aber auch laut. Sein großer Bruder war tot. Seit fünfhundertsieben Jahren vermutlich. Für Dave war er unsterblich.
    Seit drei Jahren etwa sprach er öfter mit Mickey als früher.
    Seit er in der Zukunft gestrandet war, in einer postapokalyptischen Welt. In einem riesigen Scheißhaufen, wie er es in besonders dunklen Stunden auszudrücken pflegte.
    Unter ihm, vor dem Ausgang des Kristallgebäudes standen Matthew Drax und Rulfan an der Brüstung und taten, als würden sie über die Birken- und Eichenwipfel hinweg auf den See hinaus schauen. Dave hörte ihre Stimmen, sie sprachen ziemlich laut miteinander - sie »tauschten Meinungsverschiedenheiten aus«, wie Mr. Black das vor ein paar Tagen mal genannt hat.
    Anders ausgedrückt: Sie fetzten sich mal wieder.
    Ein äußerst angenehmer Kuraufenthalt war das übrigens gewesen im Bunker der Londoner Technos; wenn man einmal von dem Schutzanzug absah, den Dave die meiste Zeit tragen musste. Kultivierte Menschen, Studien ihrer technischen Wunderwerke, wissenschaftliche Forschungen, medizinische Betreuung vom Feinsten - alles was das Herz eines neugierigen und nervlich angeschlagenen Astrophysikers begehrte. Sogar Musik hatten sie in ihrer unterirdischen Stadt. Musik von Smetana und Kurt Cobain sogar.
    Und nicht zu vergessen die Queen. Es hatte geknistert zwischen ihnen. Ein erotisches Wetterleuchten, weiter nichts.
    Ohne dass etwas passiert wäre. Leider. Einer von ihnen hatte immer einen Schutzanzug getragen. Ziemlich unpraktisch im Hinblick auf die »schönste Sache der Welt«. Davon abgesehen hatte die Queen ihr Herz an Matt gehängt. Armes Weib. Und Daves Herz…
    Nun, ja - das war eine andere Geschichte.
    Dave lächelte versonnen und streichelte die raue Oberfläche des Laserphasengewehrs auf seinen Knien. So zärtlich, als wäre sie Frauenhaut.
    Das LP-Gewehr - Victorias Abschiedsgeschenk.
    »Ich will, dass wir diese Lebensform suchen!«, sagte Matt unter ihm.
    »Und ich will, dass wir diese Gegend so schnell wie möglich verlassen!«, sagte Rulfan. Er trug nur eine Lederweste auf nacktem Oberkörper - auch in den Nächten sank die Temperatur in dieser Gegend kaum unter 20° Celsius.
    Rulfan von Coellen (Köln) übrigens - oder Rulfan von Salisbury? Gleichgültig, der Neo-Barbar gehörte nirgendwo richtig hin. Rulfan war auch Daves Reisegefährte gewesen auf der Tauchfahrt von Britana hierher. Er und Wulf, sein weißer Lupa.
    Dave hütete sich, ein Urteil über Rulfans Motive für diese
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher