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0816 - Der Todesbaum

0816 - Der Todesbaum

Titel: 0816 - Der Todesbaum
Autoren: Sylke Brandt
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beiden Koffer.
    Als sie zur Treppe gingen, sah Nicole, dass sie rote Katze erwacht war und den Vogel am Fenster bemerkt hatte. Sie schlich, weithin sichtbar, über die Holztheke, aber das potentielle Opfer rührte sich nicht. Schließlich, mit einem Schwanzzucken und einer blitzschnellen Bewegung, sprang die Katze nach vom und bekam den Vogel zu packen. Federn flogen, dann waren Jäger und Abendessen draußen verschwunden.
    Nicole folgte Zamorra nach oben. Die Gänsehaut auf ihren Armen kam nicht von der Kälte.
    ***
    Merille zuckte zurück, als der Vogel, durch dessen Sinne sie gesehen hatte, in den Fängen der Katze starb. Für einen Moment hatte sie die Todespanik des kleinen Tieres gespürt, und ihr war schlecht davon. Sie hatte zu sehr auf die beiden Fremden geachtet, um die Katze zu bemerken - ihr Fehler. Dies war das erste Mal, dass sie die neuen Kräfte ausprobierte, die der Baum ihr in der letzten Nacht verliehen hatte. Es war ein wunderbares Geschenk, aber sie konnte es noch nicht gut genug einsetzen. Sie würde den Geist des Vogels später dafür um Verzeihung bitten müssen.
    »Und? Was hast du gesehen?« Michel bemerkte wohl, dass es ihr nicht gut ging, aber es war ihm wie immer egal.
    »Zwei Fremde. Mutter Dahut hatte Recht. Sie sind wegen… ihm gekommen.«
    »Wegen Jules Leroc, den du an den Baum gefesselt hast?« Michel lachte, als er sah, wie sie zusammenzuckte. Er kam zu ihr und strich ihr mit den Fingern über den Nacken. »Das hast du gut getan. Es ist deine heilige Pflicht, der Natur etwas von dem zurückzugeben, was ihr gestohlen wurde«, murmelte Michel. »Im großen Kreislauf der Dinge sind deine Gewissensbisse sinnlos.«
    »Ich habe keine Gewissenbisse!«, begehrte Merille auf. Sie dachte nicht an den verschrumpelten Leichnam des Mannes, den die beiden Fremden jetzt suchten. Nicht, wenn sie es vermeiden konnte.
    »O doch.« Übergangslos war Michels Stimme wieder so hart wie Feuerstein. »Und deswegen wird es auch nicht an dir sein, das Opfer für diese Nacht zu rufen. Du bist noch nicht reif dafür, die Weisheit des Baumes hat dich noch nicht erreicht. Es war falsch, dich nach Paris mitzunehmen.«
    »Ich hatte Erfolg«, wagte Merille trotzig anzumerken. »Der Baum hat das Opfer angenommen.«
    »Du bist nicht bereit!«, wiederholte Michel, erbost durch ihren Widerspruch. »Ich war zu voreilig mit dir. Vielleicht, weil ich dich in den Kreis eingeführt habe. Das wird nicht noch einmal passieren. Du musst noch viel lernen. Du stellst einen Menschen noch immer zu sehr über das große Wohl. Deine Magie ist stark, ja. Aber dein Geist ist beschränkt und klein.«
    Merille senkte demütig den Kopf und sagte nichts mehr. Das war das Beste, was sie jetzt tun konnte. Vermutlich hatte Michel Recht mit dem, was er sagte. Nein, verbesserte sie sich in Gedanken, natürlich hatte er Recht. Er war einer der Ersten des Kreises. Eigentlich sogar der Erste, nur Mutter Dahut kam ihm annähernd gleich. Die Weisheit des Baumes erfüllte ihn schon so viel länger als sie.
    Wie hätte er sich irren können?
    Dort am Baum, während der Opferung, hatte ihre Entschlossenheit ihn mit Stolz erfüllt. Da hatte sie nicht gezögert, als Jules fliehen wollte. Jetzt war sie weich und schwach, eine Schande für den Kreis.
    Ihr Schweigen schien Michel versöhnlich zu stimmen. Er fuhr ihr durch das lange Haar, während er weiter sprach.
    »Uns bleiben noch einige Stunden, ehe wir uns auf die Zweite Zeremonie vorbereiten müssen. Komm, Merille. Ich werde dich weitere Weisheiten des Kreises lehren.«
    Ohne zu zögern stand Merille auf und folgte Michel in den Nebenraum. Sie zeigte es nicht, aber ihr Herz schlug nach seinen Worten sehr heftig. Sie hoffte, es wäre aus Vorfreude auf das neue Wissen, die neuen Lehren - und nicht aus… Angst.
    Aber sie wusste nie im Voraus, ob die Lehrstunden mit Michel schön oder schmerzhaft sein würden.
    ***
    Nicole räkelte sich in dem Bett, das zum Glück wenigstens eine dicke, frisch duftende Daunendecke hatte und nicht allzu sehr durchgelegen war. Gute französische Betten, wie sie in den alten Gasthäusern noch zu finden waren, hatten oft etwas von Hängematten. Vielleicht war das der Grund für die weltbekannte Liebeskunst der Franzosen - wenn man gemeinsam in so einem Bett lag, rollte man zwangsläufig in der Mitte zusammen. Ob das bedeutete, dass Deutsche und Engländer sehr feste Matratzen hatten?
    Ihre Befürchtungen hatten sich bestätigt: Es war sehr kalt im Zimmer, nur ein kleiner
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