Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
08-Die Abschussliste

08-Die Abschussliste

Titel: 08-Die Abschussliste
Autoren: Lee Child
Vom Netzwerk:
uns den Toten mal an«, sagte ich.
    Er ging voraus. Betätigte einen Schalter, der den Innenflur beleuchtete. Dann einen weiteren, der das ganze Zimmer erhellte. Ich sah einen Raum in der Standardaufteilung für Motelzimmer. Ein kaum einen Meter breiter Vorraum, links ein Einbauschrank, rechts das Bad. Dann ein dreieinhalb mal sechs Meter großes Rechteck mit einer eingebauten Ablage von der Breite des Kleiderschranks und einem französischen Brett, das ebenso breit wie das Bad war. Niedrige Zimmerdecke. An der Rückwand ein breites Fenster mit zugezogenen Vorhängen, darunter ein integriertes Heiz- und Kühlgerät installiert. Die meisten Dinge in diesem Raum waren abgenutzt, schäbig und braun. Die ganze Bude sah düster, feucht und schäbig aus.
    Auf dem Bett lag ein Toter.
    Er war nackt, lag auf dem Bauch: ein Weißer, knapp unter sechzig, ziemlich groß. Er hatte den Körperbau eines ehemaligen Leistungssportlers, setzte aber bereits Hüftspeck an, wie’s alte Männer tun, selbst wenn sie noch fit sind. Seine Beine waren blass und haarlos. Und es gab alte Narben. Das drahtige graue Haar trug er sehr kurz geschnitten, und der Nacken wies eine faltige, von Wind und Wetter gegerbte Haut auf. Insgesamt
ein unverwechselbarer Typ. Hätten hundert willkürlich ausgewählte Leute ihn sich ansehen können, hätten alle hundert Armeeoffizier gesagt. Garantiert.
    »Ist er so aufgefunden worden?«, fragte ich.
    »Ja«, antwortete Stockton.
    Zweite Frage: Wie? Nimmt ein Kerl sich ein Zimmer für eine Nacht, erwartet er zum Allermindesten, darin ungestört zu sein, bis am nächsten Morgen das Zimmermädchen kommt.
    »Wie?«, sagte ich.
    »Wie was?«
    »Wie ist er aufgefunden worden? Hat jemand die neun-eins-eins angerufen?«
    »Nein.«
    »Also wie?«
    »Sie werden’s sehen.«
    Ich sah noch nichts.
    »Haben Sie ihn umgedreht?«, fragte ich.
    »Ja. Danach haben wir ihn zurückgewälzt.«
    »Kann ich ihn mir mal ansehen?«
    »Klar doch.«
    Ich trat ans Bett und griff mit der linken Hand unter die Achsel des Toten und drehte ihn zu mir um. Er war kalt und ein bisschen steif. Die Totenstarre begann gerade einzusetzen. Ich wälzte ihn ganz auf den Rücken und stellte vier Dinge fest. Erstens: Seine Haut war auffällig graublass. Zweitens: Auf seinem Gesicht zeichneten sich Schock und Schmerzen ab. Drittens: Er hielt den linken Arm oberhalb des Bizeps mit der rechten Hand umklammert. Und viertens: Er trug ein Kondom. Sein Blutdruck war seit langem im Keller, seine Erektion deshalb verschwunden, und das leere Kondom hing wie ein durchsichtiger Hautlappen herab. Er war vor der Ejakulation gestorben. Das war offensichtlich.
    »Herzanfall«, erklärte Stockton, der hinter mir stand.
    Ich nickte. Die graue Haut war ein guter Indikator. Dafür sprachen auch der schockierte, schmerzliche Gesichtsausdruck
und der wegen des jähen Schmerzes von der rechten Hand umklammerte linke Oberarm.
    »Massiv«, stellte ich fest.
    »Aber vor oder nach der Penetration?«, fragte Stockton mit einem Lächeln in der Stimme.
    Ich sah mir den Kopfkissenbereich an. Das Bett war nicht aufgedeckt. Der Tote lag auf der Tagesdecke, die noch straff über die Kopfkissen gespannt war. Aber eine Vertiefung ließ erkennen, wo ein Kopf gelegen hatte, und ich sah Falten, wo Fersen und Ellbogen sich nach unten vorgearbeitet hatten.
    »Sie lag unter ihm, als es passierte«, sagte ich. »Das ist eindeutig. Sie hat sich unter ihm rausschlängeln müssen.«
    »Scheußlich, so abzutreten.«
    Ich drehte mich um. »Ich kann mir schlimmere Todesarten vorstellen.«
    Stockton lächelte nur.
    »Was?«, sagte ich.
    Er gab keine Antwort.
    »Keine Spur von der Frau?«, fragte ich.
    »Spurlos verschwunden«, sagte er. »Sie ist abgehauen.«
    »Hat der Mann am Empfang sie gesehen?«
    Stockton lächelte wieder.
    Ich starrte ihn an. Dann verstand ich. Ein drittklassiges Motel in der Nähe eines Highwaykreuzes mit einer Raststätte und eine Stripteasebar, das Ganze dreißig Meilen nördlich eines Militärstützpunktes.
    »Sie war eine Nutte«, sagte ich. »Der Kerl am Empfang hat sie gekannt. Hat sie viel zu früh aus dem Zimmer flüchten sehen, wurde neugierig und hat nachgeschaut.«
    Stockton nickte. »Er hat uns sofort angerufen. Bis dahin war die Lady natürlich längst verschwunden. Und er leugnet, dass sie jemals da war. Er tut so, als sei dies kein Stundenhotel.«
    »Ihr Department hat hier schon öfter zu tun gehabt?«
    »Immer mal wieder«, antwortete er. »Glauben Sie mir, es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher