Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0799 - Gefangen in Choquai

0799 - Gefangen in Choquai

Titel: 0799 - Gefangen in Choquai
Autoren: Andreas Balzer
Vom Netzwerk:
Chin-Lis Gürtel hing ein zusammengerolltes Nylonseil, an dessen einem Ende ein Bumerang befestigt war.
    »Bist du sicher, dass du das schaffst, Chin-Li?«, fragte Nicole besorgt.
    Die Chinesin hatte sich selbst bei ihrem selbstmörderischen Plan den schwierigsten Part zugewiesen. Wenn sie versagte, waren die beiden anderen auch so gut wie tot.
    »Erinnerst du dich an das Peninsula Hotel?«
    Nicole nickte. Wie hätte sie ihre erste Begegnung mit Chin-Li vergessen können? Die junge Asiatin hatte damals als Killerin der Neun Drachen versucht, Zamorra und Nicole zu töten. [3] Als die beiden Franzosen unerwartet heftigen Widerstand leisteten, war Chin-Li geflohen: mit einem Sprung aus dem zehnten Stock des altehrwürdigen Peninsula Hotels, den ein normaler Mensch niemals überlebt hätte.
    »Okay, das war nicht schlecht damals. Jackie Chan wäre stolz auf dich«, grinste Nicole.
    »Jackie Chan ist ein Weichei«, sagte Chin-Li mit dem Brustton der Überzeugung und nickte Gryf zu. Sie war bereit!
    »Na gut, meine Damen, dann wollen wir mal. Stürzen wir uns ins Unglück!«, sagte Gryf resigniert und berührte die beiden Frauen am Arm. Nicole spürte, wie sie den Boden unter den Füßen verlor - und dann fiel sie.
    Wu Huan-Tiao hatte das Gebäude magisch vor dem Eindringen per Teleportation geschützt. Aber der Zauber galt nur für das Gebäude selbst.
    Er wirkte nicht über ihm.
    Gryf hatte sich mit den Frauen 50 Meter über dem Firmengebäude materialisiert. Sofort ließ er Chin-Li los. Die Chinesin streckte die Arme vor, senkte den Oberkörper und glitt in eine stromlinienförmige Tauchhaltung, die ihren Sturz noch beschleunigte.
    Direkt unter ihr befand sich das Dach von Patrick Lau Enterprises. Und es wurde von Sekunde zu Sekunde größer.
    ***
    Choquai, vier Jahre nach der Ankunft des Fremden
    »Was ist los, Geliebter? Komm ins Bett!«
    Shao Yus Stimme besaß diese Mischung aus lasziver Forderung und Kleinmädchen-Koketterie, der ihr Gefährte sonst nie widerstehen konnte.
    Doch diesmal war es anders. Tsa Mo Ra stand am Fenster und starrte hinaus in die Nacht. Vor ihm breitete sich das prächtige Panorama der Vampirstadt aus, in der selbst um diese Zeit noch reges Treiben herrschte. Unzählige Nachtschwärmer, Liebespaare und Händler bevölkerten die Straße vor dem Haus, doch der Zauberer bemerkte sie kaum.
    Er hatte nur Augen für die von martialisch aussehenden Soldaten bewachten Käfigwagen, die durch die nächtliche Stadt gezogen wurden. In ihnen kauerten zerlumpte Gestalten jeglichen Alters, mit Gesichtern, aus denen blankes Entsetzen sprach. Diese Wesen wussten, was ihnen bevorstand. Und sie wussten, dass sie nicht die geringste Chance hatten, den nächsten Tag zu überleben.
    »Was gibt es da draußen zu sehen, Geliebter?«, fragte Yu, obwohl Tsa Mo Ra ahnte, dass sie es bereits wusste. Mit ihren feinen Vampirsinnen musste sie das Wimmern der Gefangenen und das heisere Brüllen der Wächter längst gehört haben.
    »Sie bringen die Sklaven in den Park«, sagte Tsa Mo Ra leise, ohne sich umzudrehen.
    »Natürlich tun sie das, Dummerchen. Morgen ist Jagdtag, hast du das vergessen?«
    Nein, das hatte er nicht. Wie hätte er die Jagden im südlichen Park vergessen können. Sie gehörten zu den größten Attraktionen, die Choquai seinen Bewohnern zu bieten hatte. Kuang-shi persönlich verließ seinen Palast, wenn er jeweils zu Beginn des Monats mindestens ein Dutzend Sklaven opferte, die seine Untertanen nach Herzenslust im Park jagen und zerfleischen durften.
    »Es mag dir barbarisch erscheinen, Tsa Mo Ra«, hatte Kuang-shi gesagt. »Aber selbst eine so zivilisierte Gesellschaft wie die unsere funktioniert nicht ohne solche Rituale, die an die tierischen Instinkte in uns appellieren. Von Natur aus sind wir Jäger. Doch sieh uns an: Die meisten meiner Untertanen sind Händler, Handwerker, Künstler und Bauern. Man muss sie ab und zu daran erinnern, wer wir wirklich sind.«
    Tsa Mo Ra hatte darauf nichts geantwortet, doch er war sicher, dass sein Herr gemerkt hatte, wie abstoßend er die Jagdtage trotz dieser philosophischen Unterfütterung weiterhin fand. Einmal hatte der Zauberer zugesehen, wie die Sklavenwärter die Überreste der Beute aus dem Park eingesammelt hatten, um sie vor den Toren der Stadt zu verscharren. Er hatte sich mitten auf der Straße übergeben müssen und tagelang nichts mehr essen können.
    ShaoYu wusste nichts davon. Sie hätte es nicht verstanden. Gleichwohl konnte man den Vampiren ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher