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0799 - Gefangen in Choquai

0799 - Gefangen in Choquai

Titel: 0799 - Gefangen in Choquai
Autoren: Andreas Balzer
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wenige Sekunden bevor er das Nahen ihrer schlurfenden Schritte und das Klappern der Schlüssel tatsächlich hörte.
    Der Gefangene wusste, was ihm bevorstand. Wochen waren vergangen, seit ihn die Soldaten auf der Straße aufgelesen und inhaftiert hatten, und seitdem hatten sie ihn täglich gefoltert und verhört. Doch er wusste ja selbst nichts. Weder wer er war, noch wie er hierher gekommen war. Eines Tages hatte er die Augen geöffnet und sich hier wiedergefunden.
    In einer Stadt voller Vampire.
    Der Mann ohne Vergangenheit hatte diese Tatsache erstaunlich schnell als Normalität akzeptiert. Nur seine Mitgefangenen, die apathisch mit ihm in der verschmutzten Zelle hockten, waren menschlich, alle anderen, denen er in dieser seltsamen Stadt begegnet war, besaßen die typischen verlängerten Eckzähne.
    Der Gefangene lauschte auf die Schritte, die die Zelle fast erreicht hatten. Nur ein schmales vergittertes Fenster knapp unterhalb der Decke ließ etwas Tageslicht herein. Im Halbdunkel sah er die regungslosen Gesichter seiner Mitgefangenen. Die glanzlosen Augen in ihren ausgemergelten Gesichtern sahen ihn stumpf an. Keiner von ihnen hatte die Hoffnung, je wieder das Licht der Freiheit zu sehen.
    Doch der Gefangene war nicht bereit, so schnell aufzugeben. Er warf dem Mann zu seiner Rechten einen kurzen Blick zu. Chiu, so hatte er sich vorgestellt, war der Älteste der Gruppe und der Einzige, dessen Lebenswille offenbar noch nicht ganz gebrochen war. Immerhin hatte er vom ersten Tag an auf den neuen Gefangenen eingeredet und versucht, sich ihm mitzuteilen.
    Natürlich hatte der nicht das Geringste verstanden. Die Sprache, die in dieser Stadt gesprochen wurde, war ihm völlig unbekannt. Aber immerhin hatte er hier und da ein paar Brocken aufgeschnappt, die sich nach und nach wie die Teile eines Puzzles zu einem Ganzen zusammenfügten. Ja, dank einer geheimnisvollen Gabe schien er sich regelrecht in die fremde Sprache einzufühlen, von der schon bald fast jedes Wort verstand.
    Inzwischen wusste er auch, dass er sich in einer abtrünnigen chinesischen Provinz namens Choquai befand, deren Bewohner den allmächtigen Götterdämon Kuang-shi anbeteten. Die Menschen, die in diesem Vampirreich lebten, waren entweder schon hier geboren oder in den umliegenden Tälern von Sklavenjägern gefangen worden. Sie dienten den Herren der Stadt als Sklaven oder als Nahrung.
    Ein Schlüssel drehte sich im Schloss und die Tür sprang knarrend auf. Die anderen Gefangenen zogen sich noch weiter ins Dunkel der Zelle zurück und senkten die Blicke. Sie wussten, dass die Wärter nicht wegen ihnen gekommen waren, aber jeder falsche Blick konnte tödlich sein. Nicht aufzufallen war der beste Weg, um noch für ein paar Tage weiter zu leben. Und sei es nur in diesem dreckigen, stinkenden Loch.
    Sie waren wie immer zu zweit. Die Vampirsoldaten trugen glänzende Lederharnische und golden schimmernde Brustpanzer, die mit dem stilisierten Abbild eines Wolfskopfes verziert waren.
    Der Größere der beiden packte den Gefangenen und riss ihn aus der Zelle. Der Mensch verlor das Gleichgewicht und knallte gegen die groben Steinquader der gegenüberliegenden Wand. Er sah die gierigen Blicke der Wärter, als heißes Blut seine Stirn hinunter lief. Aber sie hielten ihren Durst unter Kontrolle. Offenbar hatten sie strikten Befehl, ihn am Leben zu lassen - vorerst.
    Der Gefangene kannte den Weg fast auswendig. Die Prozedur war immer die gleiche. Sie brachten ihn in eine Art Verhörraum, wo ein ungehobelter Kerl - offenbar eine Art Offizier - ihm immer die gleichen Fragen stellte. Er wollte wissen, wer der Fremde war, woher er kam und ob ihn der Herrscher von Wuchang als Spion nach Choquai geschickt hatte.
    Am Anfang hatte der Gefangene nicht einmal die Fragen verstanden. Und auch jetzt gab er mit keinem Wort zu erkennen, dass er ihre Sprache fast so gut beherrschte wie sie selbst.
    Was hätte er ihnen auch sagen sollen? Was das für eine fremde Sprache war, in der er seine Qualen heraus schrie, wenn sie ihn folterten? Oder warum er deutlich größer und hellhäutiger war als seine Mitgefangenen? Er wusste es selbst nicht. Aber ihm war klar, dass seine Peiniger das als Antwort nie akzeptieren würden.
    Und da gab es noch etwas, was seine Wärter zutiefst verstörte. Oft hing ihm die Haut nach dem Verhör in blutigen Fetzen vom Leib. Doch während selbst kräftigere Männer nicht selten an den Folgen der Folter starben, erholte sich der Gefangene immer verblüffend
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