Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0785 - Der Kinderschreck

0785 - Der Kinderschreck

Titel: 0785 - Der Kinderschreck
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
sichtbare, wenn sie an eine Waffe dachte, nein, es war schon eine andere gewesen, über die Olinka nachgedacht, aber keine Erklärung gefunden hatte.
    Mehr eine Strömung, die in einem krassen Gegensatz zu ihren Kräften stand. Es gefiel ihr nicht. Sie wollte es sich zwar nicht eingestehen, dass ihr der Fremde eventuell überlegen war, aber er war ein Feind. Ein anderer als die normalen Menschen. Der hatte etwas an sich, mit dem sie nicht zurechtkam. Da war ein Rückzug besser gewesen. Es wäre nicht gut gewesen, diesem Fremden all ihre Kräfte zu zeigen.
    Eines stand für Olinka fest.
    Es war bestimmt nicht die letzte Begegnung gewesen, die sie miteinander gehabt hatten. Sie würden noch einmal zusammentreffen, wahrscheinlich sogar hier im Wald, denn dieser Fremde war jemand, der nicht aufgab, sondern weitermachte.
    Es war inzwischen dunkel geworden, auch wenn sich außerhalb des Waldes erst die Dämmerung ausbreitete. Hier aber, zwischen den Bäumen und den dichten Büschen, lauerte die Finsternis, die nur derjenige besiegen konnte, der sich auskannte.
    Olinka kannte sich aus. Die alte, hässliche Vettel fand mit traumwandlerischer Sicherheit ihren Weg. Sie brauchte auch nur dem Geruch des kalten Feuers nachgehen, der ihr entgegenströmte und sie darauf hinwies, wie nahe sie dem Ziel schon war.
    In der Dunkelheit schmiegte sich das Haus in den tiefen Schatten des Waldes. Es war kaum zu finden, besser allerdings, wenn im Haus Licht brannte, wie jetzt der Fall war. Ein unruhiges Flackern erfüllte die beiden Vierecke der Fenster. Sie waren für den einsamen Wanderer wie ein Leuchtturm für den Seefahrer.
    Die letzten Schritte legte Olinka gebückt zurück. Dann stand sie vor der Tür, hörte die Schritte ihres Partners Oleg und hämmerte mit der knochigen Faust gegen das Holz.
    Es hatte mittlerweile angefangen zu schneien, und der Schnee fiel in kleinen, harten Körnern aus den tiefhängenden Wolken.
    Oleg öffnete. Er hatte ein Grinsen aufgesetzt. Sein graues Haar bildete flache Strähnen rechts und links des dicken Schädels, und er wollte sofort wissen, was mit dem Fremden geschehen war.
    »Lass mich erst rein.«
    »Ja, schon gut.«
    Olinka schob sich schnüffelnd in den Raum. »Hast du etwas gebraten?«, fragte sie.
    »Ja, zwei Eichhörnchen.« Er deutete auf den gemauerten Kamin.
    Über dem Feuer steckte der Spieß von einer Wandseite zur anderen.
    Die beiden enthäuteten Körper brutzelten vor sich hin.
    »Gut«, sagte die knochige Hexe und ließ sich auf einen Schemel fallen. Nicht weit entfernt standen die beiden Kerzen. Sie warfen ihr Muster auf die Kleidung der alten Vettel und strichen auch über das Kopftuch hinweg, das Olinka nun nach hinten zog, damit ihr Kopf völlig frei liegen konnte.
    Auf dem Schädel wuchs das spinnwebenhafte dünne Haargestrüpp. Eine hohe Stirn, die dünne Haut, die flakernden Augen, der harte Mund und das hölzern wirkende Gesicht mit der vorspringenden Nase gaben ihr mehr das Aussehen einer bösen Holzfigur aus dem Spielzeugland. Aber Olinka lebte, und sie steckte voller Hass und Boshaftigkeit. »Dieser Fremde ist ein gefährlicher Hundesohn«, sagte sie mit böser Zischelstimme und trommelte dabei mit den Fingern auf die hölzerne Tischplatte.
    Oleg stand neben dem Tisch und dachte über die Bemerkung nach. Er wollte ihr auf keinen Fall widersprechen, aber ihren Eindruck hatte er von dem Mann nicht gehabt. Allerdings kannte er auch ihre Fähigkeiten und hütete sich deshalb, sie zu korrigieren. Er wollte nur den Grund wissen.
    »Das habe ich gespürt.«
    »Was denn?«
    Sie drehte den Kopf und schaute in den Hintergrund des Raumes, wo ein alter Backofen mit großer Klappe stand. »Er wird uns suchen«, flüsterte sie. »Er wird uns auch finden, das traue ich ihm zu, und darauf müssen wir uns vorbereiten, Oleg.«
    »Ja, ich gebe dir recht. Aber was willst du machen? Hast du einen Plan?«
    »Den habe ich.«
    »Sag ihn.«
    Sie streckte ihren rechten Arm aus. Der Zeigefinger wies genau auf den in der Ecke stehenden großen Backofen. Dann fing sie an zu grinsen und sang leise das Lied von Hänsel und Gretel, die in den Wald gingen.
    »Aber er ist kein Kind, Olinka.«
    »Ich weiß.«
    »Deshalb…«
    »Wir holen uns die beiden Kinder, verstehst du? Ja, wir werden sie uns holen.«
    »Und dann?«
    Wieder leckte sie ihre Lippen. »Er wird es merken, dieser Fremde. Er wird sich einiges zusammenreimen. Er hat ja erlebt, wie stark wir sind, und dann wird er den Helden spielen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher