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0776 - Racheengel Lisa

0776 - Racheengel Lisa

Titel: 0776 - Racheengel Lisa
Autoren: Jason Dark
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Haut.
    Sie spaltete sich, sie fiel ab wie ein alter Lappen, und unter ihr kam das zum Vorschein, was eigentlich hätte Fleisch sein sollen, es aber nicht war.
    Verfaultes Fleisch, das sich bewegte, weil eine kleine Armee von Maden und Würmern durch das Gesicht kroch und vor nichts haltmachte, denn es wurde zerstört.
    Die Nase, die Wangen, die Stirn und die Augen flutschten hervor, dabei an langen Fäden hängend. Sie schaukelten vor dem Gesicht wie tanzende Kugeln.
    Lisa würgte…
    Sie kriegte keine Luft mehr.
    Auf einmal war das Bild der Mutter restlos zerstört worden. Ihr wurde zwar nicht klar, dass sie die ganze Zeit über einem Phantom nachgejagt war, aber nur so und nicht anders konnte dieses Bild erklärt werden. Es war das Grauen schlechthin.
    Lisa bemerkte, dass die Bilder aus ihrem eigenen Unterbewusstsein die Mutter demontierten. Was blieb denn zurück? Nur mehr eine alte, faulige Masse Fleisch, durchzogen von Maden und Würmern, kein Engel oder höheres Wesen, sondern das, was aus ihr geworden war, als sie im kalten Grab allmählich verweste.
    Lisa hatte es nicht wahrhaben wollen. Sie hatte alles verdrängt und sich den Glorienschein aufgebaut, nun ließen sich die Tatsachen nicht mehr verleugnen, und Lisa war von ihnen eingeholt worden.
    Sie schrie.
    Es war furchtbar. Sie brüllte wie am Spieß, hielt sich noch fest, aber schwankte bereits. Die Kraft verließ sie immer mehr. Es war eine Frage von Sekunden, wann sie es nicht mehr schaffte, sich an dem Kaminrand festzuklammern.
    Die Hand rutschte ab.
    Lisa kippte.
    Und dann drehte sie sich noch einmal um die eigene Achse, bis ihre Beine nachgaben, sie auf den Rücken prallte und die Dachschräge hinabrutschte…
    ***
    Ich befand mich auf dem Weg zu Lisa, weil mir klar war, dass ich etwas tun musste. Sie würde irgendwann zusammenbrechen, dann war es zu spät, um sie zu retten.
    Ich sah alles und nichts.
    Über mir befand sich der graue, mit dicken Wolken bedeckte Himmel. Hin und wieder warf ich Lisa einen Blick zu und musste erkennen, dass etwas Furchtbares in ihr vorging. Sie sah aus wie jemand, der schreckliche Dinge zu sehen bekam, die allein für ihn persönlich bestimmt waren.
    Ich konnte nur raten, nur theoretisieren. Fest stand für mich, dass sich die junge Frau in großen Schwierigkeiten befand und ich ihr helfen musste.
    Immer wieder schrie sie wimmernd nach ihrer Mutter, und es hörte sich an, als hätte ein Tier geklagt. Sie quälte sich und stand auch längst nicht mehr so sicher auf den Beinen, wenn man da oben überhaupt von sicher sprechen konnte.
    Ich schob mich näher, aber ich kam nicht weit genug an sie heran.
    Ich wollte nach ihr greifen, ich musste sie einfach haben, noch ein kurzes Stück und…
    Da fiel sie.
    Niemand konnte sie stoppen. Sie hatte einfach die Orientierung und das Gleichgewicht verloren, prallte auf den Rücken, wo sie sich natürlich nicht auf dem feuchten und schrägen Dach halten konnte.
    Sie rutschte ab.
    Und sie kam an mir vorbei.
    Es war Zufall, Glück, was wusste ich denn schon, jedenfalls streckte ich in einem Reflex meinen rechten Arm aus, um Lisa festzuhalten. Ich erwischte sie am Pullover. Der Stoff spannte sich. Ich hielt sie fest.
    Ich hielt sie.
    »Jetzt mach nur keinen Unsinn, Mädchen!«, fuhr ich sie an. »Halt dich um Himmels willen ruhig.«
    »Hau ab!«
    »Bitte!«
    Sie hörte nicht. Auf dem Rücken liegend fing sie damit an, sich zu bewegen. Was sie damit bezweckte, war mir nicht klar. Sie konnte nur verlieren, und das wollte sie wohl auch und mich dabei durch die heftigen Bewegungen ebenfalls in Schwierigkeiten bringen.
    Lisa griff zum letzten Mittel.
    Sie zog ihren Pfahl hervor. Dass sie mit dieser Mordwaffe gut umgehen konnte, hatte sie schon des Öfteren bewiesen, und sie wollte mit dem Pfahl meinen Arm auf die Dachpfannen spießen.
    Sie hob die Hand.
    »Du bist verrückt!«
    Sie lachte fürchterlich schrill. Es war das Gelächter einer Wahnsinnigen. Dabei bewegte sie den Arm von oben nach unten, die Spitze rammte auf meinen Arm nieder, den sie nicht mehr traf, denn ich hatte ihn im letzten Augenblick gedankenschnell zurückgezogen. So hämmerte sie gegen eine dunkle Dachpfanne und hinterließ dort einige Risse.
    »Lisa…«
    Die Frau rutschte weg. Dabei lachte sie, drehte sich einmal um die eigene Achse, hob die Arme, auch die Beine, und noch immer laut lachend glitt sie der Dachkante entgegen, wo es zwar eine Rinne gab, doch davon konnte sie nicht aufgehalten werden.
    Lisa glitt lachend
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