Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0767 - Zeit der Wachsleichen

0767 - Zeit der Wachsleichen

Titel: 0767 - Zeit der Wachsleichen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
können. Aber Sie sind ein Bulle und werden es nicht verstehen. Muß doch für einen Bullen ein beschissenes Gefühl sein, wenn er neben einer Mörderin sitzt und ihr nichts kann.«
    »Darüber denke ich nicht nach.«
    »Worüber dann?«
    »Über den Fall.«
    Sie reckte sich. »Weiter, Sinclair, weiter. Was ist, wenn der Fall hinter uns liegt? Dann wird es uns beide auch noch geben, nehme ich mal an. Was werden Sie dann tun? Mich verhaften? Oder wollen wir es ausschießen wie damals im Wilden Westen? Stellen wir uns auf die Hauptstraße von Grainau und…«
    »Sie reden Unsinn.«
    »Keineswegs, John. Ich denke, Sie sollten sich schon mal Gedanken darüber machen.«
    Das tat ich nicht. Dafür entdeckte ich das gelbe Ortseingangsschild. Wir waren also beinahe am Ziel. Ich wußte nicht genau, wo der Friedhof lag, aber in derartig kleinen Orten hatte man ihn zumeist um die Kirche herum gebaut, und deren Turm mußte zu finden sein. Von der Hauptstraße bog ich rechts ab, fuhr langsamer. Die Straßen waren beinahe menschenleer. Der Wind war zu stark. Er rüttelte an den Fensterläden und fegte um Hausecken und in Lücken hinein.
    Vor einem Andenkenladen stoppte ich. Als ich die Scheibe nach unten gleiten ließ, schob die Frau ihr Fahrrad an den BMW heran. Sie hatte sich ein Kopftuch umgebunden, hielt das Rad fest und bückte sich dem Fenster entgegen.
    »Pardon, aber wir suchen die Kirche. Können Sie uns sagen, wie wir fahren müssen?«
    »Sicher doch.«
    Zum Glück unterstrich sie ihre Worte durch Gesten, denn ihr oberbayerischer Dialekt war doch nicht so gut zu verstehen. Ich bedankte mich, winkte ihr zu und fuhr wieder an.
    Sally lächelte. »Es ist alles so herrlich friedlich. Aber nicht mehr lange. Was meinen Sie, was passiert, wenn dieser Friede plötzlich zerrissen wird?«
    »Gar nichts.«
    »Teufel, Sinclair, Sie sind komisch. Sie lassen wohl alles erst an sich herankommen, wie?«
    »Richtig.«
    »Spontanes Handeln kann oft zu Fehlern führen.«
    »Ich weiß.« Näher ging ich auf ihre Bemerkung nicht ein. Außerdem mußte ich mich auf den Weg konzentrieren, der uns nach Obergrainau führte. Wir erreichten einen großen Platz, in dessen Mitte ein grünes Rondell gebaut worden waren. Unter Bäumen standen verschiedene Bänke. Von hier aus hatte der Sitzende einen wunderbaren Ausblick auf die nahe Bergwelt, die zu diesem Zeitpunkt allerdings hinter Wolken verschwamm, als wollte sie sich vor uns verstecken.
    Sally Vincaro entdeckte die Kirche zuerst. »Da liegt sie. Rechts von uns, auf einem kleinen Hügel.«
    »Danke.« Ich blinkte und bog in die entsprechende Straße ein, die links an der Kirche vorbeiführte und ebenfalls eine geringe Steigung aufwies.
    Links lagen zwei Lokale. Hinter den Fenstern brannte Licht, aber im Freien saß kein Gast mehr.
    Wir krochen weiter. Die Scheinwerfer wiesen uns den Weg, und sie wurden auch von einem parkenden Wagen reflektiert, der an der rechten Straßenseite stand.
    »Das ist ihr Ford!« sagte Sally. Sie nickte. Ihr Gesicht wurde hart. »Demnach sind sie schon da. Shit, ich wäre ihnen gern zuvorgekommen, glauben Sie mir.«
    Ich hielt an, stieg rasch aus. Auch Sally verließ schwungvoll den BMW. Sie machte auf mich keinesfalls den Eindruck, als würde sie sich vor den lebenden Leichen fürchten. Diese Frau steckte voll krimineller Energie. Sie lauerte förmlich darauf, daß es endlich zu einer Entscheidung kam. Um die Kirche und damit auch den Friedhof zu erreichen, mußten wir einen Weg hochsteigen. Auf dem Hügel stand eine herrliche Linde. In deren Nähe sah ich eine leere Bank.
    Ich konzentrierte meinen Blick auf die Kirche.
    Schweigend stand das Gebäude vor mir. Ich sah auch keine Helligkeit hinter den Fenstern. Diese Kirche konnte uns nichts verraten. Sie war ein massives Bauwerk, das den Gläubigen Schutz vor den Anfeindungen des Lebens bot.
    Es war nicht still. Der Wind fiel auf uns herab, schnappte nach uns und umjammerte auch die Ecken der Kirche. »Wie fühlen Sie sich?« fragte ich Sally.
    »Was soll das?«
    »Ich meine, haben Sie eine Ahnung?«
    »Lassen Sie uns gehen.« Sie drehte sich abrupt um, schritt vor und zog dabei ihre Kanone. Sie behielt sie in der rechten Hand, doch die Mündung des großkalibrigen Töters zeigte nach unten.
    Ich folgte ihr und brauchte nur wenige Schritte zu gehen, um einen ersten Blick über den in drei Etagen angelegten Friedhof werfen zu können. Selbst bei Dunkelheit in verschiedenen Reihen, als wären sie stumme Soldaten, die zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher