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0767 - Zeit der Wachsleichen

0767 - Zeit der Wachsleichen

Titel: 0767 - Zeit der Wachsleichen
Autoren: Jason Dark
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holte das Kreuz hervor.
    Er sah es.
    Er blieb stehen.
    Er glotzte es an.
    Dann riß er seinen Mund auf. Die Zunge schnellte hervor. In seinen Augen glühte ein tiefer Haß, in den sich die ersten Gefühle der Angst hineindrängten. Für mich und die meisten Menschen war das Kreuz ein Segen, für ihn aber ein böser Fluch, den er einfach tilgen mußte, ohne es zu können, denn ich blieb hart. Ich wollte diesen bösen Jungen einfach in die Knie zwingen.
    Das hatte ich sinnbildlich gemeint, bei ihm aber traf es zu, denn er fiel auch auf die Knie. Dicht neben seiner Mutter blieb er hocken. Er starrte sie an, vergrub dann sein Gesicht in seinen Händen, bevor er die Frau umschlang.
    Ich entspannte mich etwas. Trat näher an die beiden heran. Blieb wieder stehen. Sprach mit ihnen.
    »Es hat keinen Sinn mehr. Sie sollten aufgeben, beide sollten Sie es.«
    Ich bekam keine Antwort.
    Der Regen rauschte, der Donner tobte, und die Blitze machten die Nacht zu einem gespenstischen Tag.
    Sally Vincaro lag ebenfalls noch am Boden. Sie strampelte jetzt und befreite sich von der weichen Masse, die einmal der Körper eines Untoten gewesen war.
    Ich wollte nicht, daß sie mir entkam. Bevor sie mir entkam, war ich bei ihr, hatte sie gedreht und legte ihr dann in Windeseile Fußfesseln an. Die stählernen Ringe klickten um ihre Gelenke. Ich war davon überzeugt, daß sie dieses Geräusch nicht einmal zur Kenntnis nahm.
    Dann ging ich zu den beiden anderen.
    Sie hockten noch immer zusammen. Sie sahen geschlagen aus, und die Frau schien jeden Augenblick das Bewußtsein zu verlieren. Sie war aschfahl. Wie aus einer Dusche strömte das Wasser über ihr Gesicht. Ich konnte nur hoffen, daß beide einsahen, daß sie bisher den falschen Weg gegangen waren. Für eine Umkehr war es sicherlich nicht zu spät.
    »Sie brauchen einen Arzt, Mrs. Davies!«
    »Hau ab!« brüllte mich ihr Sohn an. »Hau ab, du widerliches Schwein!«
    Ich wollte ihm antworten, als es über unseren Köpfen plötzlich gleißend hell wurde. Wie ein gewaltiger Speer raste das unnatürlich bleiche Licht auf uns und den Baum zu. Er schlug nicht voll in den Stamm, er war seitlich abgedriftet und traf ein anderes Ziel.
    Eartha Davies.
    Ihr Sohn hatte sich noch an ihrem Körper festgeklammert wie jemand, der Schutz sucht.
    Deshalb wurde auch er erwischt.
    Ich hatte mich mit einem Sprung in Sicherheit gebracht und konnte nur das Schreckliche mit ansehen. Es dauerte nicht einmal lange, aber der Eindruck prägte sich unauslöschlich in mein Gedächtnis ein.
    Vor mir verschmorten Mutter und Sohn in Sekundenschnelle.
    Ein irrsinnig lauter Donnerschlag folgte, als wollte er die ganze Welt zerreißen.
    Über mir wurden die Wolken auseinandergerissen. Ich sah die ersten blanken Stellen und wußte plötzlich, daß dieses Unwetter seinen Höhepunkt überschritten hatte.
    Es war fast vorbei.
    Aber auch für die Familie Davies und die letzte untote Wachsleiche…
    ***
    Ich stand noch immer im Regen, und der Vergleich mit dem begossenen Pudel fiel mir ein.
    Ich mußte abwarten, verschnaufen, die letzten Minuten waren einfach zu viel für mich gewesen. Ich fühlte mich matt, gleichzeitig auch schwindlig und kam erst wieder richtig in die Realität zurück, als ich die haßerfüllte Stimme der Killerin hörte.
    »Verdammt, Sinclair, was hast du getan? Ich will, daß du mir die Dinger da abnimmst!«
    »Sie bleiben.«
    »Scheiße, ich habe…«
    »Hören Sie auf!« fuhr ich sie an.
    Sie schwieg. »Und was hast du vor?«
    »Die amerikanischen Behörden werden sich sicherlich freuen, wenn ich Sie ihnen überlasse.«
    »Du bist ein Scheißkerl!« schrie sie. »Ein verdammter Scheißkerl. Eine Bullensau und…«
    Ich hörte nicht hin, denn ich ging bereits auf die Kirche zu. Von dort lief mir ein Mann entgegen.
    Den Priester hatte es nicht mehr in seinem Gotteshaus gehalten.
    »Sie leben ja!« rief er erstaunt. Es klang so, als hätte er etwas anderes erwartet.
    »Ja, warum nicht?«
    »Aber das Grauen«, flüsterte er und schaute sich um. »Der lebende Tote, das alles…«
    »Liegt zurück, Hochwürden. Ist vorbei. Wir werden uns keinerlei Sorgen mehr zu machen brauchen. Den einzigen Ärger werde ich noch haben, denn ich muß mich mit den deutschen Behörden auseinandersetzen. Es wird schwer sein, ihnen alles zu erklären.«
    »Ich stehe Ihnen dabei zur Seite, Herr Sinclair.«
    »Danke, Hochwürden, das ist nett.«
    Er konnte wieder lachen und sagte: »Wissen Sie was? Jetzt könnten wir beiden einen
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