Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0756 - Tod über der Tunguska

0756 - Tod über der Tunguska

Titel: 0756 - Tod über der Tunguska
Autoren: Roger Clement
Vom Netzwerk:
fiel? Auch Bären und Wölfe gab es in diesem Gebiet reichlich, wie sie ihren Reisevorbereitungen entnommen hatte.
    Die Spannung stieg. Nicole überlegte, ob sie rufen sollte. Das war natürlich ein Risiko, obwohl ein Raubtier ihren Körper ohnehin längst gewittert hätte. Jedenfalls musste sie ihre Chance nutzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer Mensch in den riesigen Wäldern der Tunguska-Region vorbeikam, war einfach zu gering…
    »Hilfe!«
    Laut und deutlich hatte Nicole gerufen, und zwar auf Russisch.
    Die leisen Geräusche verstummten plötzlich. Nicole vernahm nur noch das Zwitschern der Vögel und das Rascheln von kleinen Tieren im Unterholz.
    Nun konnte die Französin auch die Gestalt sehen, die sich ihr offenbar genähert hatte. Noch stand sie unbeweglich neben einem mächtigen Baumstamm.
    Nicole wiederholte ihren Hilferuf.
    Die Dämonenjägerin schätzte den Abstand zwischen der Gestalt und sich selbst auf hundert Meter. Wegen der dicht an dicht stehenden Bäume war es allerdings nicht ganz einfach, so etwas exakt zu beurteilen.
    Jedenfalls setzte sich das dunkle Etwas wieder in Bewegung. Allerdings schlug es einen Bogen, wie Nicole nun erkannte. Es kam nicht direkt auf sie zu, sondern wandte sich zunächst nach Westen. Das Geschöpf umrundete halb die kleine Lichtung, an deren Rand Nicole an einen Baum gefesselt war. Doch dann näherte es sich Zamorras Gefährtin wirklich.
    Im ersten Morgenlicht erkannte die Französin, dass sie es nicht mit einem Raubtier zu tun hatte. Und auch nicht mit einem Dämon.
    Eine junge Frau mit einem Gewehr in den Händen trat zwischen den Baumstämmen hervor!
    Sie trug nicht die mongolischen Gesichtszüge des Tungusen-Volkes, sondern wirkte europäisch. Ihr fein geschnittenes, hübsches und kluges Gesicht zeugte davon, dass sie sich vermutlich in der feinen Gesellschaft genauso sicher bewegen konnte wie in diesen Bergwäldern. Ihr Körper war in einen unförmigen Wollmantel gehüllt. Auf ihrem dunklen Haar trug sie eine Pelzmütze. Die Beine steckten in Schaftstiefeln.
    »Guten Morgen«, sagte Nicole zu der Bewaffneten. »Könnten Sie mich bitte losbinden?«
    Die Frau mit dem Gewehr erwiderte darauf nichts. Stattdessen glitt sie noch etwas näher, geschmeidig wie ein Raubtier. Man merkte ihr an, dass sie das Leben in den Bergwäldern an der Tunguska gewöhnt war. Dabei hätte Nicole schwören können, dass die Unbekannte kein geborenes Naturkind war, sondern der Stadt erst spät den Rücken gekehrt hatte.
    »Warum sollte ich das tun?«, wurde die Dämonen jägerin nungefragt. »Wer immer Sie gefesselt hat, wird sich schon etwas dabei gedacht haben.«
    Nicoles Vermutung bestätigte sich. Die Bewaffnete sprach flüssig und klar, konnte sich gut ausdrücken. Sie hatte offensichtlich eine Schule besucht, die nicht in einem sibirischen Bergdorf stand.
    Nicole konnte die zögerliche Haltung der Frau im Grunde verstehen. Sie selbst musste einen seltsamen Anblick bieten. Nicht nur, dass sie immer noch ihr elegantes Reisekleid trug, das mit diversen Unterröcken versehen war und der Mode jener Tage entsprechend bis zum Boden reichte. Nein, außerdem war sie noch mit diesen merkwürdigen Zauberstricken gebunden, die permanent bunte Funken versprühten. So, als wären es Wunderkerzen…
    »Sicher, es gibt immer Gründe. Aber das ist jetzt nebensächlich, ehrlich gesagt. Mein Name ist Nicole Duval, und ich komme aus Frankreich. Warum ich an diesen Baumstamm unweit der Tunguska gefesselt wurde, ist eine lange Geschichte. Ich kann sie Ihnen gerne erzählen, wenn Sie wollen. Aber binden Sie mich bitte sofort los!«
    »Es ist ein weiter Weg von Frankreich bis hierher«, erwiderte die Frau in fließendem Französisch. Nicole Überlegungen bestätigten sich. Die geheimnisvolle Fremde war zwar anscheinend Russin, beherrschte aber zumindest eine Fremdsprache perfekt.
    »Ja, es ist ein weiter Weg!« Nicole wurde allmählich ungeduldig. Sie hatte keine Uhr bei sich. Aber es war der Morgen des 30. Juni 1908. Und genau um 7.17 Uhr und elf Sekunden Ortszeit würde hier an der Tunguska ein unvorstellbares Inferno über die Bühne gehen. »Wenn Sie meine Fesseln lösen, will ich Ihnen gerne die ganze Geschichte erzählen!«
    »Mein Name ist Lena Kuslowa. Sie sind nicht zufällig von meinem Mann geschickt worden, um mich zu finden?«
    Mit diesen Worten hob die Frau ihr Gewehr in den Anschlag. Und die Mündung zeigte auf Nicole!
    »Was soll der Unsinn? Ich kenne Ihren Mann überhaupt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher