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0756 - Tod über der Tunguska

0756 - Tod über der Tunguska

Titel: 0756 - Tod über der Tunguska
Autoren: Roger Clement
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beantwortet wurde.
    Mit Fußtritten beförderten die Wachsoldaten den Dämonenjäger und den Anarchisten zum Exerzierplatz.
    Nun setzte allmählich die Dämmerung ein. Der Horizont schien in eine blutrote Farbe getaucht, die in verschiedenen Abstufungen und Schattierungen in einen Malventon überging.
    Die Sonne ging auf.
    Zum letzten Mal für die Menschheit?
    Zamorra verdrängte solche Gedanken. Er würde alles dafür tun, dass die Welt, so wie sie den Menschen bekannt war, auch nach dem 30. Juni 1908 noch weiterexistieren konnte. Und wenn er selbst dabei draufgehen musste…
    »Wie viel Uhr ist es?«, fragte der Dämonenjäger einen Wachsoldaten. Als Antwort bekam er eine Ohrfeige.
    »Da hast du die genaue Uhrzeit!«
    Die anderen Uniformierten wollten sich kaputtlachen. Zamorra rechnete in Gedanken. Er wusste nicht genau, um welche Uhrzeit die Sonne in Sibirien aufging. Aber irgendwann zwischen vier und fünf Uhr würde es wohl sein, jedenfalls um diese Jahreszeit.
    Es blieben also nur noch wenige Stunden bis zum Eintritt der Tunguska-Katastrophe…
    Für den Moment wurde Zamorras Aufmerksamkeit auf eine Kutsche gelenkt. Das offene Fahrzeug aus Holz stand mitten auf dem Exerzierplatz. Die Deichsel lag auf dem Boden, denn die Kutschpferde fehlten.
    In diesem Moment kam Leutnant Baldew aus der Kommandantur. Er hatte geradezu unverschämt gute Laune. In der kalten Morgenluft konnte man sein Rasierwasser riechen, ansonsten verströmte er den Duft von süßem schwarzen Tee und den Gestank der Papyrossa, die qualmend zwischen seinen schmalen Lippen steckte.
    »Ah, meine Freunde!«, rief er leutselig, als er Zamorra und Oleg erblickte. »Was für ein herrlicher Morgen für eine Spazierfahrt, nicht wahr?«
    Leutnant Baldew kletterte auf den Kutschbock.
    »Wird’s bald?«, knurrte einer der Wachsoldaten und gab Zamorra einen Fußtritt. Da wurde dem Dämonenjäger klar, warum der Wagen ohne Pferde da stand.
    Er selbst und Oleg sollten die Kutsche des Kommandanten ziehen!
    Die beiden Gefangenen ließen sich das Geschirr anlegen. Was blieb ihnen übrig? An mehreren Stellen des Exerzierplatzes standen Wachtposten mit ihren Gewehren im Anschlag. Wenn Zamorra oder Oleg wegliefen oder rebellierten, würde es den Kerlen ein Vergnügen sein, sie über den Haufen zu knallen.
    Schließlich waren die beiden Männer angeschirrt und mussten die Deichsel aufnehmen.
    »Fertig, Herr Kommandant!«, gellte einer der Soldaten.
    »Sehr gut. Dann geht es jetzt im Laufschritt vorwärts!«
    Leutnant Baldew schnalzte mit der Zunge. Dann zog er plötzlich und unerwartet seine Peitsche über die Rücken von Zamorra und Oleg!
    Zähneknirschend rannten die Gefangenen los. Der Wagen holperte vorwärts. Baldew knallte mit der Peitsche.
    Inzwischen war es heller Morgen geworden. Die Kutsche rollte auf die Tunguska zu.
    Dem Verhängnis entgegen…
    ***
    Nicole verbrachte eine unruhige Nacht.
    Ihre Voraussetzungen waren wirklich mehr als bescheiden. Sie wusste nicht, was mit Zamorra geschehen war. Sie stand gefesselt an einem Baum. Und zwar nicht im Hyde Park von London oder im Central Park von New York, sondern in einer der am dünnsten besiedelten Gegenden der Welt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemand vor dem Morgen des 30. Juni 1908 losband, war gleich Null.
    Wenn nicht ein Wunder geschieht, dann werde ich wohl im Morgengrauen gegrillt. So wie alles Lebendige in diesem schönen Wald, dachte Nicole verdrossen.
    Es war ziemlich kalt am Morgen des 30. Juni 1908. Vor allem für jemanden, der die Nacht ohne Decke im Freien verbracht hat. Jemand anderes an Nicoles Stelle hätte sich schon eine heftige Erkältung geholt. Aber da die Dämonenjägerin wie auch Zamorra vom Wasser der Quelle des Lebens getrunken hatte, konnte sie nicht mehr krank werden. Und sterben nur durch Gewaltanwendung.
    Und dazu zählte die Tunguska-Katastrophe garantiert…
    Im ersten Licht des neuen Tages nahm die Umgebung wieder deutlichere Gestalt an. Die mächtigen Tannensfämme, die während der Nacht wie unheimliche Wächter gewirkt hatten, neigten ihre Wipfel in dem leichten Morgenwind.
    Da vernahm Nicole ein Geräusch.
    Etwas bewegte sich zwischen den weiter entfernt stehenden Bäumen. Auf die Entfernung konnte die Dämonenjägerin allerdings nicht erkennen, was es war.
    Nicoles Pulsschlag beschleunigte sich. Sollte wirklich ein menschliches Wesen in der Nähe sein, das sie befreien konnte? Oder kam sie nur vom Regen in die Traufe, indem sie irgendwelchen Räubern in die Hände
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