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073 - Der Schlaechter

073 - Der Schlaechter

Titel: 073 - Der Schlaechter
Autoren: Marc Agapit
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sich da in meiner Brust regte, also waren es auch nicht meine eigenen Gefühle.
    Dieses Herz verhielt sich so, wie ein Herz normalerweise reagiert, wenn ein Mann eine Frau sieht, die ihm gefällt. Mir war es schleierhaft, wie man für diese Frau sexuelle Gefühle haben konnte. Früher hätte ich sie überhaupt nicht beachtet. Aber jetzt sah das fremde Herz für mich. Aber kann ein Herz überhaupt sehen?
    Unsere Augen begegnen irgendeiner Sache oder einer Person und übertragen das Bild davon in unser Gehirn, das dieses Bild festhält. Das Gehirn seinerseits signalisiert dieses Bild vielleicht durch unsere Nerven in unseren ganzen Körper. Das Herz, das doch so stark an den Leidenschaften eines Menschen beteiligt ist, behält dieses Bild besonders hartnäckig.
    Mein Herz, das heißt das Herz des Verbrechers raste so sehr, daß ich daraus schloß, er mußte diese Frau näher gekannt haben, vielleicht sogar geliebt. Ja, das Herz mußte eine besonders starke Leidenschaft für diese Frau empfunden und bewahrt haben, die plötzlich bei ihrem Anblick wieder aufflackerte, ohne daß ich es verhindern konnte.
    Die Person sah, wie ich sie anstarrte und bat mich um Feuer. Es entspann sich eine Unterhaltung. Wir sagten uns Belanglosigkeiten, aber schon die Stimme dieser Frau brachte mein Herz zum Rasen.
    „Was haben Sie?“ fragte sie, als sie bemerkte, wie ich blaß wurde und zu zittern anfing.
    „Eine kleine Schwäche, sonst nichts“, antwortete ich mühsam.
    Ich dachte, ich muß ihr etwas zu trinken anbieten, und es schien mir, daß ich ihr gefiel. Oder war sie käuflich und nur auf mein Portemonnaie bedacht? Sie sah nicht aus wie ein Straßenmädchen. Und sie hielt sich auch nicht lange auf. Beim Abschied sagte sie, sie käme oft in dieses Cafe, und ihre Worte erschienen mir wie eine Einladung, wiederzukommen.
    Doch kaum hatte sie mir den Rücken gekehrt, da schrie mein Herz mir ganz außer sich zu: „Töte sie! Töte sie! Töte sie!“
    Kann ein Herz sprechen? Nein, natürlich nicht. Und doch klangen die Worte klar und deutlich in meinem Kopf nach.
    Es ist uns schon oft passiert, daß wir durch den Blick eines Freundes verstehen, was er sagen will, ohne daß er den Mund zu öffnen braucht. Mein Gehirn mußte wie durch Gedankenübertragung ein Signal vom Herzen erhalten haben, und zwar so intensiv, daß ich die Worte zu hören glaubte.
    „Töte sie!“
    Also war es keine Liebe, die das Herz für diese Frau empfand, sondern Haß.
    Woher kam der Haß? Da fiel mir die Geschichte des Verbrechers wieder ein. Er hatte eine Bank ausgeraubt und war von seinem Komplizen und seiner Geliebten übers Ohr gehauen worden. Die beiden hatten mit dem gesamten Geld das Weite gesucht. Kappa hatte die Vermutung geäußert, daß der Bankräuber auf dem Weg nach Paris war, um sich an den beiden Verrätern zu rächen. Und da geschah der Unfall, den ich verursacht hatte.
    Kappa hatte zwar den Körper des Verbrechers getötet, aber sein Herz lebte weiter, und zwar in mir. In seiner blinden Wut wollte es, daß ich die Rache anstelle des anderen ausführte. Es wollte mein Gehirn und meine Hände zwingen, die furchtbare Tat zu vollbringen.
    Ich war nicht nur Kappas Roboter, auch das Herz wollte mir seinen Willen aufdrängen.
    Ein Rest meiner angeborenen Anständigkeit protestierte gegen das Verbrechen, das mein Herz forderte. Aber waren der winzige Rest meiner eigenen Persönlichkeit und die Forderungen, die Kappa mir in mein Gehirn eingepflanzt hatte, stark genug, um den Willen dieses rachedurstigen Herzens zu brechen?
    Dr. Kappa hatte mir wohl befohlen, mich nicht auffällig zu benehmen und zurückgezogen zu leben. Aber er hatte mir nicht ausdrücklich verboten, zu töten. Er konnte ja auch nicht wissen, daß das Herz, das er mir übertragen hatte, seinen eigenen Befehlen widersprach.
    Von diesem Tag an vernahm ich immer wieder den Schrei: „Töte sie! Töte sie!“ Auch nachts wurde ich von meinem wild klopfenden Herzen aus dem Schlaf gerissen, und ich mußte unwillkürlich an diese Frau denken.
    Ich sah sie noch ein paarmal wieder. Jedesmal brüllte und tobte mein Herz. Ihr Geliebter wurde ich nicht, obwohl sie konkrete Annäherungsversuche machte. Kappa hatte mir befohlen, mich mit keiner Frau einzulassen. Doch lieh ich ihr manchmal Geld. Sie nahm es und gab es nie zurück. Hatte sie kein Geld? Sie mußte doch mit ihrem Komplizen im Besitz der Beute aus dem Bankraub sein. Aber vielleicht wollten sie die Scheine nicht so leichtfertig ausgeben
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