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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche
Autoren: Elizabeth George
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Mensch, aber einer, dessen Welt bestimmt war von Papiermühlen und Auflagenzahlen, von dem ständigen Bemühen, die Maschinen instand und in Betrieb zu halten und sich nicht von den Gewerkschaften ausbluten zu lassen. Er führte seine Geschäfte, kam nach Hause, las die Zeitung, nahm sein Abendessen ein, sah fern und ging zu Bett. Interessen hatte er kaum. Zu sagen hatte er wenig. Er war solide, treu, zuverlässig und berechenbar. Kurz, er war langweilig.
    Mutter sah sich also nach etwas um, das ihrem Leben Farbe verleihen würde. Sie hätte Ehebruch oder Alkohol wählen können, statt dessen entschied sie sich für gute Werke.
    Niemals würde sie auch nur das geringste von alledem zugeben. Zuzugeben, daß sie mehr vom Leben wollte als das, was Dad ihr bieten konnte, käme ja dem Eingeständnis gleich, daß ihre Hoffnungen in der Ehe nicht erfüllt worden waren. Selbst wenn man sie heute in Kensington besuchte und eine entsprechende Frage stellte, würde sie ihr Leben mit Gordon Whitelaw zweifellos als reine Seligkeit von Anfang bis Ende darstellen. Da es das aber nicht war, kümmerte Mutter sich um ihre sozialen Pflichten. Gute Taten ersetzten Mutter das persönliche Glück. Edles Bemühen ersetzte ihr körperliche Leidenschaft und Liebe.
    Dafür hatte Mutter immer einen Trost, wenn sie niedergeschlagen war. Sie hatte das Gefühl, etwas geleistet zu haben, etwas wert zu sein. Sie empfing die aufrichtige und von Herzen kommende Dankbarkeit jener, um deren Bedürfnisse sie sich täglich sorgte. Lobpreisungen folgten ihr von Klassenzimmer zu Konferenzzimmer zu Krankenzimmer. Man drückte ihr die Hand. Man küßte ihre Wangen. Tausend verschiedene Menschen sagten ihr: »Gott segne Sie, Mrs. Whitelaw. Vergelt's Gott, Mrs. Whitelaw.« Sie schaffte es, sich abzulenken bis zu dem Tag, an dem Dad starb. Indem sie die Bedürfnisse der Gesellschaft allem anderen voranstellte, holte sie sich das, was sie selbst brauchte. Und am Ende, als mein Vater tot war, holte sie sich auch noch Kenneth Fleming.
    Ja, ganz recht. Damals schon, vor all den Jahren. Den Kenneth Fleming.

1
    Martin Snell wollte die Milch liefern, als er das Verbrechen entdeckte. In zwei der drei Dörfchen namens Springburn, nämlich Greater und Middle Springburn, hatte er seine Runde schon abgeschlossen und war nun auf dem Weg nach Lesser Springburn. In seinem blau-weißen Milchwagen tuckerte er vergnügt diese Strecke seiner täglichen Route entlang, die ihm die liebste war, nämlich die Water Street hinunter.
    Die Water Street war eine schmale Landstraße, die die Dörfer Middle und Lesser Springburn von Greater Springburn, dem Marktstädtchen, trennte. Sie schlängelte sich zwischen gelbbraunen Mauern aus Kieselsandstein an Apfelgärten und Rapsfeldern vorüber. Beschattet von Eschen, Linden und Erlen, deren Laub sich endlich zu einem frühlingsgrünen Baldachin zu entfalten begann, folgte sie in gemächlichem Auf und Ab den sanften Hügeln des Landes, das sie durchschnitt.
    Es war ein prachtvoller Tag: weder Regen noch Wolken. Nur ein leichtes Lüftchen aus dem Osten, ein milchigblauer Himmel und Sonnenlicht, das sich funkelnd in dem ovalen Bilderrahmen brach, der an einer silbernen Kette vom Rückspiegel des Milchautos herabhing.
    »Na, ist das ein Tag, Majestät?« sagte Martin zu der Fotografie. »Ein herrlicher Morgen, finden Sie nicht? Da - haben Sie das gehört? Das war wieder der Kuckuck. Und das da - eine Lerche. Wunderschön, dieser Gesang, nicht? Das Lied des Frühlings.«
    Es war seit langem Martins Gewohnheit, sich mit der Fotografie der Queen zu unterhalten. Er fand das keineswegs merkwürdig. Sie war die Monarchin des Landes, und niemand, so meinte er jedenfalls, war mehr geneigt, die Schönheit Englands zu schätzen als die Frau, die auf seinem Thron saß.
    Ihre täglichen Gespräche beschränkten sich keineswegs auf Betrachtungen von Flora und Fauna. Die Queen war Martins Herzensfreundin, Vertraute seiner geheimsten Gedanken. Was ihm an ihr gefiel, war, daß sie trotz ihres königlichen Geblüts eine freundliche Frau war. Im Gegensatz zu seiner Ehefrau, die vor ungefähr fünf Jahren durch Vermittlung eines bibelwütigen Maurers in unerbittlicher Gottesfürchtigkeit wiedergeboren worden war, fiel sie nicht betend auf die Knie, wenn er gerade ungeschickt versuchte, sich mitzuteilen. Im Gegensatz zu seinem Sohn, der, gleichermaßen mit Gedanken an Beischlaf und Pickel beschäftigt, zur abweisenden Verschlossenheit Siebzehnjähriger neigte,
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