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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche
Autoren: Elizabeth George
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eigentliche Grund, weshalb er mit den Hunden losgezogen ist und mir Zeit für mich gelassen hat. Er sagte: »Weißt du, ich glaube, wir bleiben heute morgen ein bißchen länger aus, Livie«, als er seinen Trainingsanzug anzog. Dann nahm er mich auf seine asexuelle Art in die Arme - so halb von der Seite, praktisch ohne jeden Körperkontakt - und marschierte los.
    Ich sitze mit einem gelben, linierten Schreibblock auf den Knien und einer Packung Marlboro in der Tasche auf dem Deck des Hausboots. Zu meinen Füßen steht eine Dose mit Bleistiften, die alle scharf gespitzt sind. Das hat Chris besorgt, ehe er gegangen ist.
    Ich schaue über das Wasser hinweg nach Browning's Island, wo die Weiden ihre Zweige auf den kleinen Landesteg herabhängen lassen. Die Bäume sind endlich richtig grün, was heißt, daß es fast Sommer ist. Der Sommer war schon immer Zeit des Vergessens, da schmolzen die Probleme in der Sonne dahin. Darum sage ich mir, wenn ich nur noch ein paar Wochen durchhalte und auf den Sommer warte, wird dies alles vorübergehen. Ich werde mir nicht mehr darüber den Kopf zerbrechen müssen. Ich werde nicht handeln müssen. Ich sage mir einfach, es ist nicht mein Problem. Aber das stimmt nicht ganz, und ich weiß das.
    Wenn ich es nicht länger umgehen kann, in die Zeitung zu sehen, fange ich mit den Bildern an. Am längsten sehe ich mir das von ihm an. Ich betrachte, wie er seinen Kopf hält, und ich weiß, daß er glaubt, sich an einen Ort fortgestohlen zu haben, an dem niemand ihn verletzen kann.
    Ich verstehe das. Einmal glaubte ich selbst, ich sei endlich an diesem Ort angekommen. Aber die Wahrheit ist: Wenn man einmal beginnt, an einen Menschen zu glauben, wenn man sich einmal vom fundamentalen Guten in einem Menschen anrühren läßt - und das gibt es wirklich, dieses grundlegende Positive, mit dem manche Menschen gesegnet sind -, dann ist alles vorbei. Dann sind nicht nur die Mauern eingerissen, sondern der Panzer selbst ist durchlöchert. Und man blutet wie eine reife Frucht, deren Haut vom Messer durchtrennt wurde und deren Fleisch bloßliegt. Er weiß es noch nicht. Aber früher oder später wird er es erfahren.
    Ich schreibe also wohl seinetwegen. Und weil ich mir mitten in diesem traurigen Trümmerfeld von Liebe und Menschenleben darüber im klaren bin, daß ich es bin, die für alles die Verantwortung trägt.
    Eigentlich beginnt die Geschichte mit meinem Vater und mit der Tatsache, daß ich seinen Tod verschuldet habe. Es war dies nicht mein erstes Verbrechen, wie Sie sehen werden, aber es war das Verbrechen, das meine Mutter mir nicht verzeihen konnte. Und weil sie es mir nicht verzeihen konnte, wurde unser Leben schwierig. Und andere Menschen wurden ebenfalls verletzt.
    Über Mutter zu schreiben, ist so eine Sache. Wahrscheinlich wird es aussehen, als wollte ich schmutzige Wäsche waschen und Rache nehmen. Aber ich nenne Ihnen gleich mal eine Eigenschaft meiner Mutter, von der Sie von Beginn an wissen müssen, wenn Sie das hier lesen wollen. Sie ist eine Geheimniskrämerin. Zwar würde sie, bekäme sie dazu Gelegenheit, zweifellos sehr taktvoll erklären, sie und ich hätten uns vor etwa zehn Jahren wegen meiner »unglückseligen Beziehung« zu einem nicht mehr ganz jungen Musiker namens Richie Brewster entzweit, doch würde sie niemals alles erzählen. Sie würde Ihnen nicht verraten, daß ich die Geliebte eines verheirateten Mannes war, daß er mich schwängerte und dann abhaute, daß ich ihm verzieh, als er zurückkam, und mir von ihm eine Herpesinfektion anhängen ließ, daß ich am Ende in Earl's Court auf dem Strich landete und für fünfzehn Mäuse die Nummer im Auto schob, wenn ich gerade dringend Koks brauchte. Nein, das würde Mutter Ihnen niemals verraten. Sie würde die Fakten verschweigen und sich einreden, sie wolle mich schützen. Dabei war es in Wahrheit immer so, daß Mutter die Tatsachen unterschlug, um sich selbst zu schützen.
    Wovor? fragen Sie.
    Vor der Wahrheit, antworte ich. Über ihr Leben. Über ihre Unerfülltheit. Und vor allem über ihre Ehe. Und genau das - jetzt mal abgesehen von meinem höchst unerfreulichen Verhalten - setzte meiner Meinung nach bei Mutter eine Entwicklung in Gang, die sie schließlich zu der Überzeugung verführte, sie besäße eine Art göttliches Recht, sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen.
    Würden aber andere das Leben meiner Mutter unter die Lupe nehmen, so würden, die meisten von ihnen sie selbstverständlich nicht als eine
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