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0686 - Engel der Finsternis

0686 - Engel der Finsternis

Titel: 0686 - Engel der Finsternis
Autoren: Claudia Kern
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störte der Gestank nicht, der daraus aufstieg. Er hatte stets für seine Geschwister gesorgt und liebte sie immer noch, auch wenn die anderen ihn deswegen aus der Stadt verbannt hatten. Selbst seine eigene Mutter hielt ihn für krank.
    »Sie hat euch verlassen, aber ich werde das niemals tun.«
    Vorsichtig nahm er zuerst Sharon, dann Casey aus ihrer Behausung. Sie mochten es nicht, im Freien zu sein und schliefen am liebsten gemeinsam in der großen Tasche. Nur Duane durfte sie berühren. Und nur Duane wollte das auch…
    Ihre Körper waren federleicht in seinen Händen. Schon bald würde nichts mehr von ihnen übrig sein. Sanft wiegte der alte Mann sie hin und her, sang ein leises Schlaflied.
    Zu ihnen war die Unsterblichkeit am grausamsten. Gefangen in ihren kleinen Körpern, die niemals wuchsen, sondern einfach nur alterten, waren sie der Gnade der Menschen ausgesetzt. Aber einer nach dem anderen wandte sich in Ekel von ihnen ab. Nur Duane war ihnen geblieben, bis zum Ende.
    »In dieser Nacht werden wir sterben, Schwestern«, sang er.
    Die blauen, ausdruckslosen Babyaugen der verwesenden Säuglinge starrten ihn an. Er nickte bestätigend auf die Frage, die sie in seinem Geist stellten.
    »Bald ist es vorbei.«
    ***
    Alan Smith blieb keuchend stehen und lehnte sich gegen eine Häuserwand. Seine Lungen brannten, seine Beinmuskeln schmerzten und die Seitenstiche fühlten sich fast so schlimm an wie die gebrochenen Rippen, bevor Hanhepi sie geheilt hatte.
    Ich sollte mit dem Rauchen aufhören, dachte er, aber dann fiel ihm ein, dass er sich nach dieser Nacht nie wieder Sorgen um Lungenkrebs, Autounfälle oder Erdbeben machen musste.
    Seine Stimmung hob sich.
    Der Regisseur stieß sich von der Wand ab und warf einen Blick auf die einzige Straße des Ortes. Sie lag still und verlassen vor ihm. Es war kein Mensch zu sehen.
    Hinter einigen Häuserfenstern brannte noch Licht, aber die meisten Bewohner schienen bereits schlafen gegangen zu sein. Trotzdem blieb Smith vorsichtig, als er auf das Indianertipi zuschlich, das am Rande der Straße auf einem Feld stand. Er fürchtete immer noch, in eine Falle gelockt zu werden.
    Als er näher kam, hörte er leisen Gesang und Trommelschlag aus dem Zelt. Das Feuer, das in der Mitte des Tipis brannte, warf lange Schatten an die Wände. Einer davon hatte die Umrisse eines Menschen und bewegte sich rhvthmisch.
    Wakinyan.
    Smith sah sich suchend nach einer Waffe um. Er hatte sich noch keine Gedanken darüber gemacht, wie der den Indianer töten wollte, weil er seine gesamte Energie auf den Lauf konzentriert hatte.
    Sein Blick fiel auf die beiden mannshohen; reich verzierten Speere, die vor dem Zelteingang ihre Metallspitzen dem Himmel entgegenstreckten. Sie sahen tödlich aus.
    Perfekt, dachte der Regisseur und schlich lautlos darauf zu.
    Im Zelt brach der Gesang ab.
    Smith erstarrte.
    Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. Seine Hände, die den Speer bereits umklammert hielten, begannen zu zittern.
    Der Gesang setzte wieder ein.
    Der Regisseur hätte vor Erleichterung beinahe laut aufgestöhnt, beließ es aber dann dabei, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Er zog den Speer aus dem Boden und schlich mit heftig klopfendem Herzen um das Zelt herum, immer den menschlichen Schatten beobachtend.
    Das Adrenalin raste durch seinen Körper, als er den Speer mit beiden Händen über seinen Kopf hob. Eine Sekunde zögerte er, als das hässliche Wort Mord plötzlich wieder vor seinem inneren Auge stand.
    Dann stieß er zu!
    ***
    Die Barriere zerbrach.
    Es gab keinen Knall, keinen Blitz, kein anderes Zeichen, das ihre Zerstörung begleitete, nur ein unbestimmbares Gefühl, dass etwas verschwunden war.
    Hanhepi blieb einen Moment stehen, analysierte das Gefühl, wollte es festhalten, um es später in aller Ruhe zu genießen, aber es entzog sich ihm.
    Der Indianer breitete seine Schwingen aus und trat über die unsichtbare Schwelle. Er hatte erwartet, Triumph zu spüren, aber stattdessen fühlte er nur eine leichte Melancholie. Wakinyan war tot. Smith hatte ihn ermordet und damit die Barriere zerstört. Der alte Feind war gestorben, ohne dass er ihm noch ein letztes Mal in die Augen blicken konnte.
    Jetzt blieb ihm nur noch das Massaker.
    Und die Einlösung eines alten Versprechens.
    Hanhepi erhob sich in die Luft und ließ sich von seiner Magie lenken, um Duanes Hütte zu finden.
    Als er dort eintraf, stand die Tür offen. Der alte Mann hatte eine Kerze angezündet und saß im
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