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0664 - Der Vampir von Denver

0664 - Der Vampir von Denver

Titel: 0664 - Der Vampir von Denver
Autoren: Claudia Kern
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bequemen Ledersessel und beobachtete sie lächelnd.
    »Es gibt keinen Grund zur Nervosität«, sagte er mild. »Es ist nur eine Teetasse.«
    Die junge Chinesin lachte. »Aber eine, die wertvoller ist als das Haus, in dem ich wohne. Wie können Sie etwas so Wertvolles nur benutzen, um daraus Tee zu trinken?«
    Der Vampir hob die Augenbrauen. »Dafür wurde sie doch gemacht, oder?«
    »Ja, aber das ist tausend Jahre her.«
    »Natürlich, aber man kann auch heute noch daraus trinken.«
    Er stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und nahm einen silbernen Dolch in die Hand.
    »Was glauben Sie, wie alt der ist?« fragte er.
    Jin Mei betrachtete einen Moment die Krümmung der Klinge und den diamantenbesetzten Griff. »Etwa achthundert Jahre«, antwortete sie.
    »Sehr gut. Sehen Sie, vor achthundert Jahren wurde dieser Dolch vielleicht von einem reichen Höfling benutzt, um seinen Kindern damit Orangen zu schälen. Heute benutze ich ihn, um meine Post zu öffnen. Wer weiß schon, wer ihn in weiteren achthundert Jahren in der Hand halten wird, und was er dann damit tut. Vielleicht jemanden ermorden, oder seine Fingernägel reinigen?«
    Hoffentlich bin dann immer noch ich es, fügte er in Gedanken hinzu. Laut fuhr er fort: »Verstehen Sie, worauf ich hinaus will? Alles, was Sie hier sehen, sind Gegenstände, die gemacht wurden, um benutzt zu werden. Ich umgebe mich nicht mit ihnen wegen ihres Wertes, sondern wegen ihrer Schönheit.«
    Er legte den Dolch weg und trat näher an die Chinesin heran. »Jin Mei, wenn Sie Kunst wirklich begreifen wollen, müssen Sie Ihre Distanz verlieren. Es darf Sie nicht interessieren, welchen Wert etwas besitzt - beziehungsweise, welchen Wert wir ihm zumessen. Es kommt nur auf die Schönheit an, und die werden Sie viel besser genießen können, wenn Sie eine Teetasse wie eine Teetasse behandeln und nicht wie ein unschätzbares Relikt.«
    Jin Mei hob den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. Sie waren dunkel, wirkten in diesem Licht fast schwarz. Für einen Moment glaubte sie, in ihnen einzutauchen und sich in der Schwärze zu verlieren. Ihr wurde schwindelig, und sie senkte den Blick.
    »Ich freue mich darauf, von Ihnen zu lernen«, sagte sie ehrlich.
    »Die Freude wird auf meiner Seite sein«, entgegnete der Vampir etwas abwesend. Der kurze Augenkontakt hatte gereicht, um eine telepathische Verbindung entstehen zu lassen. Fu Long hatte nicht viel in ihren Gedanken erkennen können, aber er hatte eine unterschwellige Angst gespürt, die so stark mit Jin Meis Gedanken verschmolzen war, daß sie schon seit langer Zeit existieren mußte. Aber da war noch etwas anderes, eine Unaufrichtigkeit ihm gegenüber, die sie beschämte, gegen die sie aber nicht ankämpfen konnte. Fu Long war sich nicht sicher, wovor die junge Frau Angst hatte und aus welchem Grund sie wirklich in sein Geschäft gekommen war, aber er spürte, daß die Antwort auf diese Fragen entscheidende Konsequenzen für seine Existenz haben würde.
    Innerlich fluchte der Vampir. Die Suche, wegen der er überhaupt erst nach Denver gekommen war, nahm seine ganze Zeit in Anspruch. Er mußte sie beenden, bevor man ihn fand, sonst war seine Flucht umsonst gewesen. Er konnte sich jetzt keinem neuen Problem widmen, egal, wie schwerwiegend es auch war. Gleichzeitig wußte er jedoch, daß er es auch nicht ignorieren konnte. Es war eine Situation, für die es keine Lösung zu geben schien.
    »Werden Sie mich anlernen?« fragte Jin Mei und unterbrach damit seinen Gedankengang.
    Der Vampir schüttelte den Kopf. »Nein, leider habe ich dafür momentan keine Zeit. Ich habe sehr viele Geschäfte zu erledigen.«
    Er zeigte auf eine steile Holztreppe in der hinteren Ecke des Geschäfts. »Aber machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie Fragen haben, meine Wohnung ist direkt über dem Geschäft. Rufen Sie einfach nach mir. Wenn ich da bin, werde ich Ihnen selbstverständlich helfen. Allerdings hat die Wohnung einen separaten Eingang, also werden Sie nicht immer wissen, ob ich zu Hause bin oder nicht.«
    Der separate Eingang war nichts anderes als das Fenster, durch das er zu kommen und gehen pflegte, wenn die Sonne über den Berggipfeln versunken war.
    »Ich muß Sie jetzt leider allein lassen«, sagte er bedauernd. »Der Schlüssel liegt in der Kasse. Schließen Sie einfach gegen sieben Uhr ab. Ich erwarte Sie dann morgen früh um zehn.«
    Jin Mei senkte höflich den Kopf. »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. Ich werde Sie nicht enttäuschen und hoffe darauf,
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