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0664 - Der Vampir von Denver

0664 - Der Vampir von Denver

Titel: 0664 - Der Vampir von Denver
Autoren: Claudia Kern
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Witz.«
    Zamorra konnte sich noch gut an eine Dokumentation erinnern, die er vor einigen Jahren im Fernsehen gesehen hatte. Darin wurde die Geschichte des Eisenbahnbaus und der chinesischen Arbeiter erzählt. Tausende von ihnen waren im letzten Jahrhundert auf Schiffen aus ihrem verarmten, von einem ungerechten Feudalsystem geschundenen Land nach Amerika geflohen, um dort ein besseres Leben zu finden. Das Geld für die teure Schiffsreise bezahlten die amerikanischen Eisenbahngesellschaften, die im Gegenzug von den Männern verlangten, daß sie für eine gewisse Zeit beim Bau der transkontinentalen Eisenbahnstrecke halfen - eine Art legalisierte Sklaverei. Niemand wußte genau, wie viele der Chinesen, die zumeist nur die Kleidung besaßen, die sie auf der Haut trugen, von unmenschlichen Vorarbeitern zu Tode geschunden worden waren, oder in der beißenden Kälte der Berge schutzlos erfroren. Ihre Leidensgeschichte war ein Thema, mit dem sich die Amerikaner erst in den letzten Jahren und auch nur recht widerwillig beschäftigten.
    »Chef«, sagte Nicole plötzlich leise. »Irgend etwas stimmt hier nicht.«
    Zamorra sah auf. Wenn sie ihn Chef nannte, wurde es ernst. Erst jetzt bemerkte er, wie still es um sie herum geworden war. Die lebhaften Gespräche, die den Lärm vorbeifahrender Autos übertönten, waren verstummt. Es war nichts zu hören außer dem Dröhnen der Motoren.
    Die Menschen starrten sie an.
    Zamorra trat automatisch einen Schritt zurück, um sicherzustellen, daß er die Häuserwand im Rücken hatte.
    Es war ein unheimlicher Anblick.
    Die Frauen hinter den kleinen Marktständen, die Taxifahrer auf ihren Stellplätzen, die alten Männer, die im Fenster lehnten und sich über die Straße hinweg unterhalten hatten, sie alle starrten die beiden Europäer ausdruckslos an. Zwischen ihnen liefen spielende Kinder hindurch, die von der seltsamen Szene völlig unberührt blieben.
    Nicole machte unerwartet zwei schnelle Schritte nach rechts. Alle Köpfe drehten sich zu ihr. Es war, als beobachte man die Zuschauer eines bizarren Tennisspiels.
    Zamorra machte zwei Schritte nach links. Dieses Mal folgte nur ein Teil der Köpfe seinen Bewegungen.
    Offensichtlich, dachte der Dämonenjäger, werden diese Menschen von etwas gesteuert, das uns beide im Auge behalten will.
    »Cheri«, hörte er Nicole leise sagen, »ich hoffe nur, daß hier irgendwo eine versteckte Kamera steht und gleich jemand auftaucht, der uns sagt, daß wir im Fernsehen sind.«
    Zamorra mußte trotz der bizarren Situation lächeln. »Dann sollten wir ihn zur Auswahl seiner Schauspieler gratulieren. Die sind wirklich überzeugend.«
    Nicole nickte. Sie konnte nicht verhindern, daß ihr jedes Mal ein Schauer über den Rücken lief, wenn sie die leeren Blicke sah, die auf sie gerichtet waren. Sie spürte, daß es Zamorra ebenso erging.
    »Hey!« zischte unvermittelt eine Stimme neben ihnen.
    Zamorra fuhr herum. Ein Stück entfernt stand ein Chinese, der mit seinen ölig zurückgekämmten Haaren wie ein Gangster aus einem John-Woo-Film wirkte. Der Mann grinste, winkte ihnen kurz zu und verschwand wortlos in einer Gasse neben dem Antiquitätengeschäft.
    Die beiden Dämonenjäger sahen sich an. Sie waren miteinander so vertraut, daß ihnen ein Blickkontakt zur Verständigung reichte.
    Langsam gingen sie auf die schmale Gasse zu, während Hunderte von Köpfen sich zu ihnen drehten. Aber niemand folgte ihnen, als sie die Hauptstraße verließen und damit auch das Sichtfeld ihrer Beobachter. Die blieben stumm zurück.
    Vor Zamorra und Nicole lag eine schmale Sackgasse, die von einer hohen Mauer begrenzt wurde und außer einigen Müllcontainern und etwas Bauschutt völlig leer war. Der Mann war verschwunden.
    »Das gefällt mir überhaupt nicht«, sagte Nicole irritiert.
    Zamorra nickte. Man mußte nicht Albert Einstein sein, um zu bemerken, daß sie in eine Falle gelockt werden sollten. Vorsichtshalber sah er sich nach möglichen Fluchtwegen um. Anscheinend lagen in dieser Gasse die Hinterausgänge der Geschäfte, jedenfalls sah er einige schwere Eisentüren, die mit zahlreichen Schlössern oder Ketten gesichert waren. An den Wänden der alten Backsteingebäude hingen bunte Plakate mit Schriftzeichen, die er nicht lesen konnte. Aus den Bildern schloß er, daß es sich um Werbung für chinesische Popbands handelte. Auf einem Plakat erkannte er den Schauspieler Chow Yun Fat, der mittlerweile auch im Westen populär geworden war. Ärgerlicherweise gab es keine
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