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0621 - Weckt die Toten auf!

0621 - Weckt die Toten auf!

Titel: 0621 - Weckt die Toten auf!
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Herzenswunsch zu erfüllen, wie es nur die Erwecker zu tun vermochten, ließ sich der Blinde auch schon einmal auf Ratenzahlungen ein oder gewährte Aufschub. Aber Männer wie da Canaira waren reich, sehr reich. Und da Canaira konnte sich auch nicht damit brüsten, seinen Reichtum durch die eigene Arbeitskraft erlangt zu haben.
    Er ließ andere für sich arbeiten.
    Ein Mann wie er bekam weder Aufschub noch Ratenzahlungen gewährt.
    Er wollte nicht zahlen? Er wollte noch Bedingungen stellen?
    Er würde sich wundern.
    Jorge, der Erste Erwecker, würde das Geld bekommen.
    Noch in dieser Nacht. Dafür sorgte Rosita…
    ***
    Paco da Canaira fühlte sich längst nicht mehr wohl. Je länger der Tag wurde, desto größer auch seine Unruhe. Im Nachhinein gab das Verhalten des Blinden ihm doch zu denken.
    Nicht nur sein überraschender Rückzug, sein Nachgeben sondern auch die Tatsache, daß er sein Auto selbst lenkte.
    Wie war das möglich? Wie konnte er sich orientieren, wo er doch blind war? Und das war keine Täuschung; da Canaira hatte sich Navarros Augen angeschaut. So, wie sie aussahen, waren sie einfach nicht in der Lage, etwas wahrzunehmen. An Navarros Blindheit gab es keinen Zweifel.
    Und sein Nachgeben - was bedeutete das? Vorher war er so energisch aufgetreten… war es vielleicht eine Drohung?
    Es mußte so sein.
    Und Rosita war immer noch nicht wieder aufgetaucht, obgleich es bereits dem Abend entgegenging. Warum kam sie nicht? Vielleicht, weil sie es gar nicht konnte. Weil Navarro sie überhaupt nicht von den Toten erweckt hatte! Wahrscheinlich lag sie doch noch in ihrem kalten Grab. Navarro war ein Betrüger, er wollte das Geld, ohne etwas dafür zu tun…
    Doch war es wirklich so?
    So närrisch konnte der Blinde gar nicht sein. Er mußte wissen, daß er damit nicht durchkam. Wo immer er sich verbarg, da Canaira würde ihn finden und töten lassen.
    Navarro wäre nicht der erste, der mit durchgeschnittener Kehle oder einem Loch in der Stirn irgendwo in den Slums gefunden würde. Einen Paco da Canaira betrog man nicht.
    Seine Unruhe wurde immer stärker, und irgendwann kam er zu der Erkenntnis, daß er nur dann wieder Ruhe finden würde, wenn der Blinde tot war. So oder so - Navarro mußte sterben. Ganz gleich, ob er seine Arbeit getan hatte oder nicht. Da Canaira fühlte sich durch ihn bedroht, und es durfte niemanden geben, der ihn ungestraft bedrohte.
    Er drückte auf eine Taste der Sprechanlage. Carlos und Hemano betraten nur wenige Augenblicke später das geräumige Arbeitszimmer, als hätten sie nur auf das Signal gewartet.
    Da Canaira erwartete es nicht anders.
    »Dieser Blinde mit dem alten Mercedes«, sagte er. »Ihr wißt, wen ich meine?«
    Die beiden Männer, die unter anderem auch seine Leibwächter waren, nickten.
    »Ich will ihn tot.«
    »Aye. Reicht sein Kopf, oder wollen Sie seine komplette Leiche sehen?«
    Da Canaira lachte leise auf. »Es reicht, wenn ihr mir mitteilt, daß er nicht mehr lebt.«
    »Aye.«
    Carlos und Hemano gingen.
    Sie waren zuverlässig; deshalb standen sie schon seit mehr als zehn Jahren in da Canairas Dienst. Sie sprachen nicht viel, sondern führten jede Anweisung sofort durch. Jorge Navarro war schon tot - er wußte es nur noch nicht.
    Paco da Canaira wandte sich um und blieb vor dem Kruzifix stehen, das hinter ihm an der Wand hing, ein Prachtstück aus massivem Silber, mit Edelsteinen besetzt und einer Dornenkrone aus Gold. Da Canaira wollte sein übliches ›Herr, nimm dich seiner Seele gnädig an‹ murmeln wie immer, wenn er einen Mordauftrag erteilte, aber diesmal klappte das seltsamerweise nicht. Er setzte dreimal an, und jedes Mal kam keine Silbe über seine Lippen.
    Das verstand er nicht; es wurde ihm unheimlich.
    Was geschah mit ihm? Er war doch ein frommer Mann, ging jeden Sonntag in die Kirche und hatte noch immer für jeden Ermordeten ein paar Dutzend Kerzen gestiftet, dem Bischof ein paar tausend Reales auf das Spendenkonto überwiesen und dem Polizeichef den doppelten Betrag in die Getränkekasse gelegt.
    Langsam hob er die Hand, wollte das Kruzifix berühren. Aber nicht einmal das gelang ihm. Es schien vor seinen Fingern zurückzuweichen in die Unendlichkeit.
    Da wandte er sich um und beauftragte ein Dienstmädchen, das Kruzifix abzuhängen.
    Danach war er einerseits auf eine seltsame Weise erleichtert. Andererseits fraß tief in seinem Inneren eine Furcht, die er noch nie in seinem ganzen Leben gekannt hatte. Er verstand sie nicht. Etwas in ihm, das zum
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