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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht
Autoren: Karl May
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Familie unglücklich gemacht und sehe immerfort und allezeit das Opfer dieses schlecht gezielten Schusses blutend am Boden liegen! Sheppard ist zwar nun tot; aber ich weiß, daß er Wechsel und Geständnis irgendwo deponiert hat. Sie können sich denken, daß mir das große Sorgen macht!“
    „Freilich! Aber legen Sie nur alles in Gottes Hand! Der weiß am besten, wie Ihnen zu helfen ist. Es gibt einen Heiland für alle Menschen und eine Erlösung aus jeder Seelennot; daran zu denken und daran zu glauben ist grad jetzt die rechte Zeit, meine ich, jetzt, wo wir bald wieder den großen Engelsruf erklingen hören: Ich verkünde große Freude, die euch widerfahren ist!“
    Ich drehte mich um und ging in unser Versteck. Als er mich nicht mehr sehen konnte, lugte ich durch den Efeu heraus. Er stand vor Überraschung steif und hielt den Blick auf die Stelle gerichtet, hinter welcher ich verschwunden war. Meine letzten Worte waren ja der Anfang seines Gedichtes; konnte das Zufall sein?
    Nun zeigte ich Winnetou die Depositenscheine und sagte ihm, daß dieser Reiter der Sohn eines früheren Lehrers von mir sei.
    „Ich weiß, weshalb mein Bruder mir diese Mitteilung macht“, lächelte er; „sein Wunsch soll in Erfüllung gehen. Dieses Bleichgesicht ist arm und hat geglaubt, sich mit den Nuggets des Finding-holes helfen zu können; der gute, große Christ soll ihm welche bringen!“
    Das war mir eine Freude, und Reiter war nicht der einzige, dem beschert werden sollte; auch mein Carpio mußte natürlich etwas bekommen – wenn er noch lebte! Es ging zusehends mit ihm abwärts; er wurde immer schwächer, sonderbarerweise blieb die Stimme kräftig. Als ich ihm sagte, daß dies wohl auf eine mögliche Besserung hoffen lasse, antwortete er mit mattem Lächeln:
    „Denke das nicht! Es ist bestimmt, daß ich einstweilen von dir gehe. Ich habe im stillen schon von der Erde Abschied genommen. Er ist mir nicht schwer gefallen, denn sie hat mir wirklich nicht viel geboten, was mich halten könnte; sie ist eine sehr harte Stiefmutter gegen mich gewesen. Ich scheide also gern, und wenn meine Sprache noch jetzt kräftiger ist, als ich selbst es bin, so wird das wohl nur wegen des Gedichtes sein. Ich will es noch einmal sagen, laut sagen und dann für dieses Leben stille sein, für immer still.“
    „Hast du denn nicht noch einen Wunsch, den ich dir erfüllen könnte, lieber Carpio?“
    „Nein, denn was ich wünsche, das wirst du tun, ohne daß ich dich besonders darum bitte. Wenn du in die Heimat kommst, so grüße die Meinen; sag ihnen, daß ich mich den Zerstreutheiten und Konfusionen anderer Leute entzogen habe und nun endlich glücklich bin. Sag ihnen auch, daß nun der himmlische Vater über meinen jenseitigen Beruf bestimmen werde, und daß ich darum nicht befürchte, dort Vorwürfe zu hören, wie diejenigen waren, mit denen ich hier so unausgesetzt und grausam verfolgt worden bin! Jetzt will ich wieder schlafen. Verzeih mir, lieber Freund! Ich bin so müde, und der Schlaf ist so schön. Wenn der Tod so sanft und freundlich kommt wie der Schlaf, so möchte ich nur immerfort und unaufhörlich sterben!“
    Er schloß die lieben Augen, öffnete sie aber kaum eine Minute später wieder und sagte:
    „Jetzt ist mir plötzlich eine recht große Bitte eingefallen, lieber Sappho. Es gibt hier keinen Sarg, und ich möchte doch nicht so direkt von der bloßen Erde umgeben sein. Dort liegt das Grizzlyfell. Wenn es dir nicht gar zu wertvoll ist, so hülle mich drin ein. Es ist das zwar auch so eine Art von Konfusion und Verwechselung, denn so sollten eigentlich wohl nur berühmte Krieger begraben werden, aber ich bin das doch gewöhnt, und dies wird ja wohl die letzte hier auf Erden sein. Willst du das tun?“
    „Von Herzen gern!“
    „Ich danke dir; nun schlafe ich!“
    Rost saß daneben und hatte alles gehört. Die Tränen liefen ihm unaufhörlich über die Wangen herab, denn der Sterbende war ihm auch recht herzlich lieb geworden.
    Der Tag und die nächste Nacht vergingen, ohne daß etwas von Bedeutung geschah; aber am Morgen des Vierundzwanzigsten ertönten frohe Rufe von der Höhe herab, und wir sahen eine Schar Schoschonen kommen, wohl zwanzig Mann, von Wagare-Tey, dem jungen Häuptling, angeführt; Teeh, der Kundschafter, war auch dabei. Sie kamen, uns zu holen, und hatten Schneeschuhe und alles mit, was für uns nötig war. Unsere erste Frage war nach unsern Pferden; sie waren gut aufgehoben. Dann interessierte uns natürlich der
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