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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht
Autoren: Karl May
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Es zuckte mir in den Fäusten, sie ihm auf den Kopf zu schlagen. Dann krochen Reiter und Welley hervor; auch sie waren unverletzt. Sie schienen alle Feindschaft vergessen zu haben und drückten uns die Hände. Nun drang ein herzbrechendes Wimmern und Stöhnen zu uns; aber es war zu gewagt, im Finstern nach der Stelle zu kriechen, von woher es klang. Ich schickte Sannel hinüber zu uns, um einige Kienspäne zu holen. Als er sie brachte, machte ich Licht und kroch hinein.
    Ich konnte jeden Augenblick verschüttet werden; aber es geschah mir nichts. Erst fand ich Corner; er war tot; die Kante eines Felsstücks hatte ihm die Brust eingedrückt und war dann weitergerutscht, so daß er frei lag. Ich durchsuchte vorsichtigerweise alle seine Taschen und fand nebst anderen, mir weniger wichtigen Gegenständen zwei Depositenscheine. Die steckte ich zu mir, denn sie betrafen die Summen, welche die Verbrecher aus dem Verkauf von Watters und Welleys Nuggets gelöst hatten. Dann kroch ich weiter, bis ich zu dem Wimmernden kam; es war der Prayer-man, welcher so schwere Verletzungen davongetragen hatte, daß an eine Rettung nicht zu denken war. Er wimmerte in der Bewußtlosigkeit. Es fiel mir nicht ein, ihn zu schonen; ich rüttelte ihn, denn ich wollte ihm eine Frage vorlegen. Ich hatte schon seit langer Zeit einen Gedanken mit mir herumgetragen, über den ich Gewißheit haben wollte. Er kam halb zu sich und stierte mich verständnislos an.
    „Sheppard, du hast Guy Finell erschossen!“ rief ich ihm zu.
    „Finell!“ fragte er. „Esel! Warum wollte er mich anzeigen!“
    Ein schweres Stöhnen unterbrach dieses Geständnis. Sein verzerrtes Gesicht sah beim Lichte des neunten oder zehnten Kienspanes, den ich angesteckt hatte, wie eine Teufelsfratze aus.
    „Und Reiter?“ fragte ich.
    „Reiter? Dummkopf! Schoß zu gleicher Zeit mit mir los, ich auf Finell, er auf die Spottdrossel, die er fehlte. Das war ein Streich! Du weißt es ja, Corner, daß er nun dachte, er sei der Mörder und – – –“
    Ich konnte leider nicht weiter auf seine Worte achten, denn über mir prasselte es; ich fuhr schnell zurück. Kleine Steine fielen herab und raubten einem größeren, sehr schweren Stücke den Halt, den sie ihm gegeben hatten; es stürzte und traf die Fratze, die mich soeben noch so spöttisch angegrinst hatte. Der Prayer-man war auch tot. Gott wollte ihn nicht hier bereuen, sondern im Jenseits büßen lassen. Wer mit dem Heiligsten, was der Mensch besitzt, in der Weise, wie er es getan hatte, Lästerung treibt, begeht eine Sünde, die ihm hier nicht vergeben werden kann. Ich rührte ihn nicht an und kroch zurück.
    Draußen begannen die Sterne zu erbleichen. Winnetou saß mit Arnos Sannel auf den Trümmern, nicht weit von ihnen Hiller, Reiter und Welley, welche leise miteinander sprachen, weiter weg davon hockte Lachner für sich allein. Die drei standen auf, als sie mich wiedersahen, und bedankten sich abermals bei mir. Sie baten mir alles ab, was sie gegen uns getan und gesagt hatten, und wünschten, sich uns anschließen zu dürfen, um uns beweisen zu können, daß sie der Verzeihung nicht unwert seien. Ich wies sie an Winnetou. Als dieser das hörte, sagte er:
    „Diese drei Bleichgesichter haben Sünden und Fehler, aber keine Verbrechen begangen. Ihre Strafe soll sein, daß sie hier an dieser Stätte wohnen bleiben, bis wir von hier fortgehen und sie mitnehmen. Sie dürfen unsere Wohnung nicht betreten, aber uns unbewaffnet besuchen und das Fest der Christen mit uns feiern. Da werden sie einsehen, daß sie wohlgesinnte Männer beleidigt haben, die es gut mit ihnen meinten. Dieser Bär gehört uns. Wir werden ihm das Fell und auch das Fleisch nehmen.“
    „Dürfen nicht wir das tun?“ fragte Hiller. „Wir bringen dann alles hinüber.“
    „Ja, es mag so sein.“
    Er winkte Sannel und mir, mit ihm zu kommen. Wir kehrten nach unserm Zufluchtsort zurück, wo wir den beiden Zurückgebliebenen erzählten, was sich ereignet hatte. Carpio freute sich herzlich darüber, daß seine Mitteilung sich als wahr erwiesen hatte und er durch sie höchstwahrscheinlich der Retter Hillers geworden war.
    Am Vormittag kam dieser mit Welley und Reiter; sie mußten den Weg zwischen hüben und drüben mehrmals machen, ehe sie das Fell und die Menge von Fleisch uns ausgeliefert hatten; wir gaben ihnen, den bisherigen Pferdefleischessern, einen Teil davon. Bei dieser Gelegenheit sahen sie den Christbaum stehen, dessen Lichter, wenn es ruhige Luft und
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