Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
hinter den Vorhängen suchte.
    Die letzten beiden Abende war sie nicht im Pub gewesen. Er hatte auf sie gewartet, bis Ben Wragg die Polizeistunde verkündete und Dora die Gläser einsammelte. Er wußte, wenn es erst einmal halb zehn war, würde sie kaum noch kommen. Dennoch wartete er und hing seinen Träumen nach.
    Er hing ihnen immer noch nach, als sich die Haustür öffnete und Polly herauskam. Sie fuhr zusammen, als sie ihn sah. Er ging ihr eilig ein paar Schritte entgegen. Sie trug einen Korb und war von Kopf bis Fuß in Wolle gehüllt.
    »Wollen Sie ins Dorf?« fragte er. »Ich war gerade beim Herrenhaus draußen. Darf ich Sie begleiten, Polly?«
    Sie kam näher, blickte das Sträßchen hinauf, in dem der Schnee unberührt war. »Sie sind wohl hingeflogen?« fragte sie.
    Er kramte in seiner Jacke nach seinem Lederbeutel. »Na ja, eigentlich wollte ich gerade erst hin. Einen Spaziergang machen. Es ist ja ein herrlicher Tag.«
    Etwas Tabak fiel zu Boden. Sie blickte hinunter und schien die Krümel genauer zu untersuchen. Er sah, daß sie ein paar blaue Flecken im Gesicht hatte.
    »Sie waren die letzten Tage gar nicht im Pub. Sie hatten wohl viel zu tun?«
    Sie nickte, den Blick immer noch auf die Sprenkel im Schnee gerichtet.
    »Ich habe Sie vermißt. Die netten Gespräche mit Ihnen und so. Aber Sie haben natürlich viel zu tun. Das kann ich verstehen. Eine Frau wie Sie. Aber trotzdem haben Sie mir gefehlt. Albern, aber so ist es nun mal.«
    Sie schob den Korb an ihrem Arm zurecht.
    »Ich habe gehört, die Sache ist geklärt. Mit Cotes Hall. Was dem Pfarrer zugestoßen ist. Wußten Sie das? Sie sind von allem Verdacht befreit. Eine gute Nachricht, nicht? Wenn man alles zusammen betrachtet.«
    Sie erwiderte nichts. Sie trug schwarze Handschuhe mit einem Loch am Handgelenk. Er wünschte, sie würde sie ausziehen, so daß er ihre Hände betrachten konnte. Sie vielleicht sogar wärmen konnte. Und sie selbst wärmen.
    »Ich denke viel an Sie, Polly«, sprudelte er heraus. »Die ganze Zeit. Tag und Nacht. Nur die Gedanken an Sie halten mich am Leben. Das wissen Sie, nicht wahr? Ich kann meine Gefühle nicht gut verstecken. Sie sehen mir an, wie mir zumute ist, nicht? Sie sehen es mir doch an? Sie haben es mir von Anfang an angesehen.«
    Sie schlang sich ein purpurrotes Tuch um den Kopf und sah ihn neugierig an. Er merkte, wie ihm heiß wurde. »Ich hab mich nicht richtig ausgedrückt, nicht wahr? Darum ist alles durcheinander. Ich hab's verkehrt herum gesagt. Ich liebe Sie, Polly.«
    »Es ist kein Durcheinander«, erwiderte sie. »Sie haben es nicht verkehrt herum gesagt.«
    Ihm ging das Herz auf vor Wonne. »Dann...«
    »Sie haben aber nicht alles gesagt.«
    »Was gibt es da noch zu sagen? Ich liebe Sie. Ich begehre Sie. Ich bereite Ihnen den Himmel auf Erden, wenn Sie nur...«
    »... die Tatsache ignorieren, daß Sie eine Ehefrau haben.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Gehen Sie nach Hause, Brendan. Kümmern Sie sich um Miss Becky. Legen Sie sich in Ihr eigenes Bett. Hören Sie auf, um meines herumzustreichen.«
    Sie nickte bestimmt - abweisend, um ihm guten Morgen zu wünschen, er konnte es nehmen, wie er wollte - und ging in Richtung zum Dorf davon.
    »Polly!«
    Sie drehte sich herum. Ihr Gesicht war steinern. Sie wollte sich nicht berühren lassen. Aber er würde sie dennoch erreichen. Er würde ihr Herz finden. Er würde darum bitten, darum betteln, alles tun. »Ich liebe Sie«, sagte er. »Polly, ich brauche Sie.«
    »Ja, brauchen wir nicht alle etwas?«
    Sie ging.

    Colin sah sie vorübergehen. Sie war ein Farbklecks auf weißem Hintergrund. Purpurroter Schal, marineblauer Mantel, rote Hose, braune Stiefel. Sie trug einen Korb und stapfte auf der anderen Straßenseite gleichmäßig durch den Schnee. Sie sah nicht zu seinem Haus herüber. Früher einmal hätte sie das getan. Sie hätte einen verstohlenen Blick zu seinem Haus gewagt, und wenn er zufällig vorn im Garten gearbeitet oder an seinem Auto herumgebastelt hätte, wäre sie mit einem Vorwand über die Straße gekommen. Hast du von den Hunderennen in Lancaster gehört, Colin? Wie geht es deinem Vater? Was hat der Tierarzt zu Leos Augen gesagt?
    Jetzt sah sie demonstrativ geradeaus. Die andere Straßenseite, die Häuser, die sie säumten, insbesondere das seine, existierten einfach nicht. Auch gut. Sie schonte sie beide. Hätte sie den Kopf gedreht und bemerkt, daß er sie vom Küchenfenster aus beobachtete, so hätte er vielleicht etwas gefühlt. Und bisher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher