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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld
Autoren: Elizabeth George
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Tür gestanden. Dann hatte sie ihn weinen hören. Sie hatte gehört, wie er sich auf dem Boden entlanggezogen hatte, und hatte sich davongeschlichen. Sie hatte ihn allein mit seinen Dämonen kämpfen lassen, weil sie nicht gewußt hatte, wie sie ihm helfen sollte.
    »Und da hab ich mir geschworen«, flüsterte sie in der Dunkelheit, »daß ich alles für dich tun würde. Damit es besser wird.«
    Juliet hatte zwischen dem Kind, das sie geboren, und dem, das sie gestohlen hatte, keinen Unterschied gemacht, erklärte ihm Deborah. Beide waren ihre Kinder. Sie war die Mutter. Und sie machte keinen Unterschied. Muttersein war für sie nicht der Moment der Empfängnis und die nachfolgenden neun Monate. Doch Robin Sage hatte das nicht begriffen, nicht wahr? Er hatte ihr Geld für eine Flucht geboten, dabei hätte er wissen müssen, daß sie Maggies Mutter war und sie ihr Kind nicht verlassen würde, ganz gleich, welchen Preis sie dafür bezahlen mußte, daß sie bei ihm blieb. Sie würde ihn bezahlen. Sie liebte Maggie. Sie war ihre Mutter.
    »So empfand sie es, nicht?« flüsterte Deborah.
    St. James küßte sie auf die Stirn und zog die Decke fester um sie. »Ja«, sagte er. »Genau so.«

29
    Brendan Power stapfte am Straßenrand entlang zum Dorf. Er wäre bis zu den Knien im Schnee eingesunken, wäre nicht schon vor ihm jemand unterwegs gewesen und hätte einen Pfad getrampelt. Ungefähr alle dreißig Meter war der Schnee mit verkohlten Tabakklümpchen gesprenkelt. Der Spaziergänger hatte eine Pfeife geraucht, die nicht besser zog als die Brendans.
    Aber er selbst rauchte an diesem Morgen nicht. Er hatte seine Pfeife zwar dabei für den Fall, daß er glaubte, irgendwie seine Hände beschäftigen zu müssen, aber bisher hatte er sie nicht aus ihrem Lederbeutel genommen, dessen leichten Druck an seiner Hüfte er als beruhigend empfand.
    Meistens folgte auf einen Schneesturm ein herrlicher Tag. Die Luft war still. Die Morgensonne warf ihre glitzernden Schleier über das weite Land. Mauern und Dächer trugen eine dicke Schneedecke. Als er am ersten Reihenhaus auf seinem Weg ins Dorf vorüberkam, sah er, daß jemand auch an die Vögel gedacht hatte. Drei Spatzen hüpften eifrig pickend um eine Handvoll Toastbröckchen vor einer Haustür herum. Sie musterten ihn zwar mißtrauisch, als er vorüberkam, doch der Hunger hielt sie davon ab, sich in die Bäume zu flüchten.
    Er wünschte, er hätte daran gedacht, etwas mitzunehmen: Toast, eine Scheibe altes Brot, einen Apfel, einfach irgend etwas. Der Wunsch, die Vögel zu füttern, wäre eine halbwegs glaubhafte Entschuldigung für seinen Spaziergang gewesen. Und er würde eine Entschuldigung brauchen, wenn er wieder nach Hause kam. Ja, es wäre vielleicht gar nicht dumm, sich schon jetzt eine auszudenken.
    Daran hatte er zuvor überhaupt nicht gedacht. Während er, am Fenster des Speisezimmers stehend, über den Garten hinaus zum weiten weißen Weideland geblickt hatte, das zum Besitz der Townley-Youngs gehörte, hatte er nur das Verlangen verspürt, hinauszulaufen, tiefe Löcher in den Schnee zu stapfen, in eine Welt zu entkommen, in der das Leben erträglich war.
    Um acht Uhr war sein Schwiegervater zu ihrem Schlafzimmer gekommen. Als Brendan seinen militärischen Schritt im Korridor hörte, war er hastig aufgestanden, nachdem er sich vorher vom schwer lastenden Arm seiner Frau befreit hatte. Im Schlaf hatte sie ihn diagonal über ihn gelegt, so daß ihre Finger zwischen seinen Schenkeln ruhten. Unter anderen Umständen hätte er vielleicht diese Art unbewußter Intimität erotisch gefunden. So jedoch lag er schlaff und insgeheim abgestoßen unter ihrer Berührung und war froh, daß sie schlief. Ihre Finger würden nicht kokett noch ein paar Zentimeterchen nach links wandern, um männlicher Erregung zu begegnen, wie sie sie des Morgens für angemessen hielt. Sie würde nicht fordern, was er nicht geben konnte, würde nicht wie eine Wilde an ihm herumfummeln und warten - erregt, begierig und schließlich wütend -, daß sein Körper reagierte. Es würden keine kreischenden Vorwürfe folgen. Und auch nicht das tränenlose Weinen, das ihr Gesicht völlig entstellte und durch den ganzen Korridor schallte. Solange sie schlief, gehörte sein Körper ihm, und sein Geist war frei. Darum huschte er, als er seinen Schwiegervater kommen hörte, zur Tür und zog sie einen Spalt auf, ehe Townley-Young klopfen und sie wecken konnte.
    Sein Schwiegervater war korrekt gekleidet wie immer.
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