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057 - Im Banne des Unheimlichen

057 - Im Banne des Unheimlichen

Titel: 057 - Im Banne des Unheimlichen
Autoren: Edgar Wallace
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rauchte verstohlen eine Zigarette.
    Es war kalt und ungemütlich. Betty wanderte betrübt zum Guckloch im Vorhang und starrte in den fast leeren Zuschauerraum. Das Parterre war schwach besetzt - in den ersten zwei Reihen saßen überhaupt nur sieben Personen, obwohl das Theater schon seit einer halben Stunde geöffnet war. Der junge Hilfsregisseur trat neben sie.
    »Sieht nicht gerade vielversprechend aus, wie?« Er lachte gezwungen. »Selbst im Flohzirkus habe ich schon mehr Leute gesehen! Aber ist es verwunderlich? Eine Operette ohne zündende Melodie - und keine einzige Szene, die das Publikum zum Lachen reizt! Die Kündigung ist heute bekanntgemacht worden. Haben Sie den Anschlag gesehen?«
    Sie nickte.
    ›Das Mädchen aus Fez‹ wurde seit vierzehn Tagen gespielt. Sieben Wochen lang hatte man geprobt. Und nun hing am Anschlagbrett ein mit der Schreibmaschine geschriebener Zettel - Überschrift: ›Kündigung‹!
    »Das betrifft wohl auch mich, Mr. Tillett?« fragte sie.
    »Ich fürchte, ja, Miss Carew«, antwortete der Hilfsregisseur.
    »La Florette ist auch keine Freundin von Ihnen, nicht wahr?«
    La Florette, die französische Tänzerin mit den schmalen Lippen, gehörte nicht zum Ensemble, aber sie saß bei den Proben neben van Campe, kritisierte, spottete, lachte höhnisch und versicherte in ihrem merkwürdigen Französisch immer wieder, wie viel besser das alles in Frankreich gemacht würde. Und van Campe, der ihr Sklave war, änderte und flickte an den Stücken herum, bis alle Beteiligten der Verzweiflung nahe waren.
    Betty wollte gerade etwas zum Hilfsregisseur sagen, da flog die Bühnentür auf und die flatternde Gestalt La Florettes tauchte auf der Schwelle auf. Von der Krone ihres mit Henna gefärbten und gewellten Haares bis zu den Spitzen ihrer juwelenbesetzten Schuhe glich sie einer Puppe, die von einem Puppenmacher kunstvoll hergerichtet worden war.
    Sie schlängelte sich zwischen dem Bühnengerümpel hindurch, pflanzte sich vor Betty auf und musterte sie durch ein Lorgnon. Bei dieser unverschämten Prüfung wurde Betty sogar unter ihrer Schminke rot.
    »Sie sind die Carew, nicht wahr? Ich möchte mit Ihnen sprechen. Womit bleichen Sie sich das Haar? Mit Wasserstoff, nicht? Ich bewundere es. Sie sind eine schlechte Schauspielerin, und Ihre Stimme, mon dieu, ist schrecklich, aber Ihr Haar ist hübsch! Es ist mir aufgefallen, und ich versprach Charles, Sie zu fragen, wie Sie das machen.«
    »Und jetzt haben Sie ihr Versprechen eingelöst, Miss Florette«, sagte Betty sanft.
    Sie war bemüht, sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen.
    »Sie werden es mir doch verraten?«
    Betty lächelte trotz ihres Zorns.
    »Es gibt nichts zu verraten. Mein Haar ist so, wie der liebe Gott es geschaffen hat. Ich glaube, Ihnen das schon einmal gesagt zu haben.«
    La Florette zuckte ihre mageren Schultern.
    »Aber das ist - so sagt man doch in Ihrer Sprache - geflunkert, nicht wahr?«
    »Es ist nicht geflunkert. Aber was den Ausdruck betrifft, so sollten Sie ihn eigentlich kennen.« Betty holte tief Atem und unterdrückte ihre Erregung. »Denn wenn Sie nicht eine echte Londoner Vorstädterin aus Limehouse sind, habe ich noch nie eine ›Dame‹ aus den Vorstädten gesehen. Ihr gebrochenes Englisch mag für einen Holländer oder Griechen ganz glaubwürdig klingen, aber zufällig spreche ich ziemlich gut Französisch und weiß daher, was ich von Ihrem Französisch zu halten habe!«
    »So - so?« La Florette fiel aus ihrer Pose, stemmte die Hände in die Hüften und begann zu kreischen. »Ich werde Sie lehren, eine Künstlerin meines Ranges zu beleidigen - Sie, Sie Choristin, Sie! Ich soll aus Limehouse sein?« Der Redeschwall, der nun folgte, entschied diese Frage ein für allemal. »Ich werde Sie noch heute abend aus dem Theater feuern lassen. Ich habe meinen internationalen Ruf zu verteidigen und erlaube nicht, daß ein auf der Straße großgewordenes Geschöpf .«
    Van Campe erschien auf der Bildfläche - ein aufgeregter, rundlicher Mann, der mit den Händen fuchtelte, wobei seine Brillantringe blitzten.
    »Die zweite Besetzung soll antreten! Zahlen Sie ihr die Gage und werfen Sie sie hinaus!« brüllte er.
    Noch heiß vor Ärger, aber triumphierend ging Betty in ihre Garderobe. Endlich hatte sie der Florette einmal ihre Meinung gesagt! Jetzt wollte sie zu de Fell, dem jungen Regisseur, gehen, der ihr in seinem neuen Programm eine Rolle angeboten hatte.
    Kaum hatte sie sich an ihren Schminktisch gesetzt, klopfte es.
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