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056 - Der Werwolf

056 - Der Werwolf

Titel: 056 - Der Werwolf
Autoren: Hivar Kelasker
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es ging. Dann kam sein erster, schwerer Zusammenbruch. Es erwischte ihn auf einer Baustelle unweit der Praxis von Dr. Lassner. Die Symptome deuteten auf akuten Verfolgungswahn hin. Doktor Lassner, den er aus seiner Studienzeit kannte, hatte den Patienten hierher nach Otterfing in die Heilanstalt überwiesen. Nach vier Tagen der Beobachtung war es Christian Franke dann gelungen, aus der Anstalt zu fliehen. Dabei legte er eine erstaunliche Raffinesse an den Tag. Seine Spur ließ sich zwar schwer verfolgen, aber der Ort, an dem er gestorben war, wurde schnell gefunden.
    Langsam streckte Gerd Becker die Hand nach dem Telefonhörer aus, um Barbara Franke anzurufen, doch dann unterließ er es.
    Es gab zu viele Ungereimtheiten und ihn störte besonders, daß es diesen Wolf gab.
    Gerd Beckers Überlegungen gingen zurück bis zu jenem Abend, als sie ihn hier anriefen und ihm aufgeregt mitteilten, daß der Patient Franke ausgebrochen sei. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte er zu ahnen begonnen, daß Frankes Schicksal noch einige höchst unangenehme Überraschungen für ihn bereithalten würde.
    Auch Barbara hatte seine Befürchtungen geteilt, damals, vor dem Gewitter …
     

     

Christian Franke wußte nicht, wovor er floh. Er hatte auch nicht die geringste Ahnung, wohin es ihn trieb. Ihm war nur klar, daß er rennen mußte, um eine möglichst große Distanz zwischen sich und das Irrenhaus zu bringen.
    „Diese Verbrecher …“, schluchzte er vor sich hin. Keuchende Atemzüge preßten sich aus seiner Lunge. Vor ihm begann sich der Abendhimmel mit drohenden schwarzen Wolken zu beziehen.
    „Sie haben mich ins Irrenhaus gesteckt! Sie wollen mein Geld! Und Barbara … sie will mich loswerden.“
    Alle waren sie hinter ihm her!
    Sein Vater, dem die Baufirma gehörte. Seine Frau, die einen anderen liebte, und dieser Irrenarzt, der wie ein verliebter Kater um Barbara herumstrich. Sie alle haßten ihn und hatten ihn in der Anstalt sicher verwahrt geglaubt.
    Er lachte auf. „Ich habe ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich bin ihnen entkommen!“
    Der erste Nachhall eines Donners rollte über den Wald dahin. Das Gewitter schien noch weit entfernt.
    „Ich hasse sie!“ keuchte Christian Franke. „Umbringen sollte man diese gemeinen …!“
    Zuerst seinen Vater, der ihn gezwungen hatte, zu studieren, obwohl er nicht die geringste Lust dazu hatte. Und obwohl der Alte reich war, mußte sich der Sohn sein Geld selbst verdienen. Er mußte auf die Baustellen fahren, mit den Arbeitern verhandeln und sie kontrollieren.
    „Diese Ehe!“ murmelte Christian verächtlich, während er den steilen Forstweg emporstieg. Eigentlich war es keine richtige Ehe mehr. Barbara schien ihren Hund mehr zu lieben als ihn. Er haßte diesen Köter, einen weißen Zwergpudel, der wie ein Schaf aussah und ebenso dumm war. Und er haßte Barbara, seine Frau.
    Vor drei Jahren hatten sie geheiratet. Aber seit einiger Zeit war eine Veränderung in ihrem Wesen vorgegangen, die er nicht begriff. Sie sah ihn oft so merkwürdig an und schien ihn zu fürchten. Er wußte nicht, was sie hatte, aber sicher steckte sein Vater dahinter oder ein anderer Mann. Vielleicht liebte sie ihn nicht mehr, weil er ihren Hund nicht mochte und ihm einmal das Feuerbesteck nachgeworfen hatte. Vielleicht steckte sie auch mit dem Arzt, diesem Lassner, unter einer Decke. Denn Lassner war es gewesen, der ihn behandelt und ins Irrenhaus eingewiesen hatte.
    „Sie wollen mich vernichten. Sie alle! Lassner wird sich scheiden lassen und Barbara heiraten!“ murmelte Christian. In dem Wirrwarr seiner Gedanken zeichneten sich einzelne, logische Überlegungen ab.
    Er würde ihnen schon zeigen, daß er sie durchschaut hatte.
    Der nächste Donnerschlag war schon lauter. Gleichzeitig begann der Wald um ihn herum aufzurauschen. Die hölzernen Zaunpfähle bewegten sich. Äste knarrten geheimnisvoll. Der Himmel, der jetzt hinter dem lichter werdenden Wald zu sehen war, hatte seine Farbe in ein metallisches Blauschwarz verändert. Gerade, als Christian auf dem höchsten Punkt des Berges angelangt war, zuckte ein Blitz quer durch den nachtschwarzen Himmel. Sekunden später krachte der Donner.
    „Dorthin muß ich!“
    Unter ihm lag Marzing. Er hatte sich nicht verlaufen. Er blieb stehen und spürte, wie der stärker werdende Wind seine Haut und sein brennendes Gesicht kühlte. Langsam lief er den Abhang hinunter in Richtung der ersten Scheunen. Eine Erntemaschine stand weit vor ihm auf einem leeren
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