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0553 - Geisterstunde

0553 - Geisterstunde

Titel: 0553 - Geisterstunde
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Betrachtung der Lage, nicht sonderlich gut. Der Ritter maß von den Sohlen seiner Eisenschuhe bis zum obersten Federbusch der Helmzier gerade mal sechseinhalb Fuß, der Drache hingegen das Fünffache, von seiner Länge ganz zu schweigen. Der größte Teil seines schuppigen Leibes verbarg sich noch in der großen Höhle. Nur die Ansätze seiner Schwingen ragten hinter dem mächtigen Schädel hervor.
    Aber das, was Gregor sah, reichte schon aus, um ihm zu zeigen, daß er es mit dem größten Drachen zu tun hatte, dem er jemals gegenübergestanden hatte. Er hatte schon ein paar kleinere erschlagen, die über die Ländereien der Bauern herfielen und das Vieh von den Weiden pflückten, um sich daran gütlich zu tun, und die mit ihrem Feueratem die Bauernhöfe, Dörfer, Kirchtürme und gar die Kornspeicher des Königs niederbrannten. Aber dieser gewaltige Lindwurm, der wie der Urgroßvater aller Drachen wirkte, ließ sich bestimmt nicht so einfach mit Schwert, Lanze und List aus seiner Höhle kitzeln, geschweige denn erschlagen.
    Selbst die Prinzessin glaubte wohl nicht mehr, daß es Gregor gelänge, den Sieg davonzutragen; ihr liebliches Gesicht zeigte nunmehr nicht Hoffnung, sondern Furcht.
    Man hatte sie an einen baumdicken Pfahl in der Nähe des Höhleneingangs gebunden. Die Berater des Königs hatten dazu geraten, sie meinten, der Drache würde Ruhe geben und sich zurückziehen, wenn man ihm die schöne Königstochter zum Opfer brächte - in anderen Königreichen habe so etwas ja auch immer funktioniert.
    Um sein von dem Drachen geknechtetes Volk vor weiterem Schaden zu bewahren, hatte der König zähneknirschend zugestimmt - heimlich aber Ritter Gregor zu sich gerufen und ihn gebeten, dem Ungetüm den Garaus zu machen.
    An sich wäre das kein Grund für Gregor gewesen, ein weiteres Mal gegen einen Lindwurm zu Felde zu ziehen; er hatte sich schon genug Ruhm und Ehre erworben und wollte den Rest seines Lebens lieber in Ruhe verbringen, als sich immer und immer wieder in Todesgefahr zu begeben. Wenn der Drache sich durch die Opferung der Prinzessin zufriedenstellen ließ, mochte es gut sein. Gregor war nicht gar so ritterlich, daß er das Schicksal der Prinzessin, die er schließlich kaum kannte, über sein eigenes Wohlergehen stellte. Zumal es dank der Beispiele aus anderen Königreichen wahrscheinlicher war, den Drachen mit der Prinzessin zu befriedigen, als ihn erschlagen zu können.
    Aber dann hatte der König ihm ein Bildnis seiner Tochter gezeigt, die wirklich sehr bezaubernd aussah, und er hatte sie ihm zur Frau versprochen -und das halbe Königreich dazu.
    Letzteres gab den Ausschlag.
    Nun senkte der Drache den Kopf und sah den Ritter aus seinen großen schwarzen Augen genauer an.
    »Freund? Ihr nennt mich Freund? Das verstehe ich nicht.«
    »Nun, wir könnten ja vielleicht Freunde werden«, schlug Gregor vor.
    »Das geht nicht«, sagte der Drache. »Es ist gegen die Tradition.«
    Er hob die linke Tatze und schlug damit geradezu spielerisch gegen den Ritter. Gregor konnte gerade noch zurückweichen, stolperte aber über einen Stein und kam zu Fall.
    Es schepperte gewaltig.
    Der Drache grinste eine Feuerwolke über ihn hinweg, daß dem Ritter in seiner schweren Eisenrüstung nun allzu warm wurde.
    Volker, sein Schildknappe, eilte erschrocken herbei, um ihm wieder auf die Beine zu helfen, aber Gregor winkte ihn zurück. Er schaffte es allein, wenn auch unter großen Mühen. Gute hundert Pfund Eisen, aus dem die Rüstung bestand, waren keine Kleinigkeit.
    Als er endlich schnaufend wieder auf den Beinen stand, wünschte er sich insgeheim, nicht Ritter zu sein, sondern vielleicht besser Ratgeber des Königs. Da hatte man es bequem, kleidete sich in Samt und Seide und aß und trank von goldenem Tafelgeschirr.
    Und man brauchte sich nicht mit gefährlichen Drachen herumzuschlagen, die nichts anderes im Sinn hatten, als das Land zu verwüsten und Prinzessinnen zu verschlingen! Andererseits -bei Hofe war man vor neidischen Intriganten nicht gefeit, die einem bisweilen Gift ins Essen mischten. Was war nun besser, von Bösewichtern vergiftet oder von einem Drachen gebraten und gefressen zu werden?
    Beim Sturz und seinem mühevollen Aufrappen hatte er Schild und Schwert verloren. Der Knappe Volker reichte ihm das Gewaff wieder an.
    Durch die schmalen Sehschlitze im Helmvisier sah Ritter Gregor gleichzeitig, daß der Drache seine monströse Körpermasse weiter aus seiner Höhle schob.
    Das Schwert fest umklammert, klappte er
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