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054 - Gabe und Fluch

054 - Gabe und Fluch

Titel: 054 - Gabe und Fluch
Autoren: Bernd Frenz
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wollte sich einfach kein Loch in dem spröden Beton auf tun. Mit glühenden Wangen stammelte er: »Nein! Wie kommst du darauf? Ich wollte bloß höflich sein! Wir müssen die Luke von innen schließen, und wo du doch schon beim öffnen Schwierigkeiten hattest, dachte ich…«
    Keiko versuchte ein Kichern zu unterdrücken, aber es gelang ihr nicht. Es sah einfach zu komisch aus, wie Fudoh sich vor Verlegenheit wand. Erst als sie die Tränen der Empörung in seinen Augen glitzern sah, riss sie sich zusammen.
    »Hey, war doch nur Spaß«, beruhigte sie ihn. Um die Worte zu bekräftigen, strich sie ihm freundschaftlich über das erhitzte Gesicht. Die Geste hatte etwas Elektrisierendes. Sie konnte förmlich spüren, wie es unter ihren Fingerspitzen knisterte. Aus einer spontanen Laune heraus beugte sie sich vor und hauchte Fudoh einen sanften Kuß auf die Lippen.
    Die Berührung währte nur einige Sekunden, doch das angenehm weiche Gefühl, das damit verbunden war, sollte den Jungen ein Leben lang verfolgen. Dieser flüchtige Moment, in dem er Keikos ganze Weiblichkeit und einen Rest von Frühstücksmarmelade schmeckte, symbolisierte für Fudoh später, wie sein Leben hätte verlaufen können, wenn er an diesem schicksalhaften Tag in SubTokio geblieben wäre. Doch leider folgte er seinem Herzen und begleitete sie durch den Lüftungsschacht ins Freie.
    ***
    San Fernando Valley, Januar 2518
    Der Mann in der Zelle wälzte sich unruhig im Schlaf. Niemand wusste, welche Dämonen ihn wirklich verfolgten, doch man musste kein Psychologe sein, um zu ahnen, das es mit seinem entstellten Gesicht zu tun hatte. Wangen, Stirn und Kinn bestanden aus einem groben Geflecht von Brand- und Schnittwunden. Von Ohren und Lippen existierten nur zerfaserte Überreste, und dort, wo eigentlich die Nase sitzen sollte, klaffte ein tiefer Spalt in seinem Gesicht.
    Eigentlich eine bedauernswerte Gestalt, die einem Leid tun konnte, wäre dieser Mann nicht General Fudoh gewesen - der kommandierende General der japanischen Invasionstruppen, die El'ay in ein Schlachtfeld verwandelt hatten. Tausende von unschuldigen Menschen waren schon den Attacken der Zombietruppen zum Opfer gefallen, und nun machten sie sich auf, das San Fernando Valley zu erobern.
    »Patrol Six an Task Force Control, die Lage gerät außer Kontrolle. Totalausfall von RoCop Thirtyone und Thirtyfour. Erbitten Genehmigung zum Rückzug.«
    Miki Takeo verfolgte die Funksprüche über seinen internen Sender, während er einen Blick auf den kleinen Monitor des Gehirnwellenscanners warf.
    Das Bild, das sich auf dem Handgerät abzeichnete, war ihm inzwischen gut bekannt. Ein junges Pärchen zwischen alten Maschinen, das einen flüchtigen, fast schüchternen Kuß austauschte. Immer wieder der gleiche Traum, stets dieselbe Szene. Äußerst sonderbar und wenig ergiebig.
    Was er brauchte, waren kriegswichtige Informationen, aber die gab der gewiefte General nicht preis. Fudoh war ein Meister der Meditation, der alle wichtigen Gedanken tief in seinem Unterbewusstsein verschlossen hatte.
    »Task Force Control an Patrol Six. Genehmigung erteilt. Versucht so viele Flüchtlinge wie möglich zu retten«, gab Miki seinen Robots in Sektor 12/23 durch.
    »Task Force Two an Patrol Six. Wir sind in zwanzig Minuten bei euch und geben Luftunterstützung.« Die Stimme seines Sohnes! Es war schön, sie zu hören. So enthusiastisch und voller Einsatz.
    Schade, dass sie alle auf verlorenen Posten kämpften. Ihre Munitionsvorräte neigten sich dem Ende entgegen, während der Feind über einen schier unerschöpflichen Vorrat an untoten Soldaten verfügte. Alles was Miki und seine Verbündeten tun konnten, war das Unvermeidliche weiter hinauszuzögern. Es sei denn, ihr Gefangener ließ sich noch irgendwie als Trumpfkarte ausspielen. Aber wie?
    Informationen gab er nicht preis und als Geisel schien er nicht genug wert zu sein, um die Angriffe stoppen. Mikis diesbezügliche Verhandlungsangebote hatten mit der Demontage eines RoCops geendet.
    Die internen Sensoren des Androiden registrierten einen Temperaturanstieg um 1,3 Grad. Ein technisch wenig versierter Beobachter hätte glauben können, der Unmut über die Situation brächte seine Halbleiter zum Kochen, aber das war natürlich Unsinn. Sein mechanischer Körper reagierte nicht auf das Zusammenspiel von Persönlichkeitschip und Massenspeicher, deren simulierte Emotionen nicht mit echten Gefühlen zu verwechseln waren. Wenn der Androide jetzt mit dem Fuß
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